Werwelt 01 - Der Findling
können. Doch was geschieht? Die Frau schreit auf und versucht, sich zu entwinden. Ich verstärke wieder die Macht meines Willens, und sie gibt Ruhe, liegt einen Moment lang still da, bemüht sich aber nicht mehr, gefällig zu sein. Wieder nähern wir uns dem Vollzug dieses Akts, und wieder löst sich die Umklammerung meines Willens, als die Fluten der Wonne mich fortschwemmen, und wieder beginnt sie, sich zu wehren.
»Nein, Charles! Nein! Bitte, Charles, nicht das! Ach, bitte, Charles, ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt so weit hab’ gehen lassen.«
Sie weinte jetzt schluchzend, während sie versuchte, den Händen des Jungen zu entkommen, die wie Stahl um ihren Körper lagen. Doch dann hörte sie auf. »Ach, bitte, bitte«, rief sie, die Augen mit Tränen gefüllt, doch Charles’ Körper noch immer umschlungen haltend.
Charles kam zu sich, fand sich dem Ziel seiner lustvollen Phantasien so nahe, daß er einen Moment lang glaubte, er wäre wieder im Traum. Dann aber sah er Flossies angstvolle Augen, wußte, wo seine Hände waren und was er hatte tun wollen, und er fuhr zurück, riß sich mit einem schmerzlichen Schrei vom Körper des Mädchens los. Starr blieb er auf dem Boden liegen, und seine Lenden schmerzten von der Qual unerfüllter Lust.
Ich kehre wieder in Charles’ Empfindungen zurück. Ich kann nicht verstehen, warum der Junge und das Mädchen aufgehört haben. Eine entsetzliche Frustration ist das, die wir verspüren, ein häßliches Gefühl, das ich auskosten, aber nicht genießen kann. Sie werden nicht weitermachen. Ich spüre aufsteigenden Zorn, doch dies ist nicht der Moment für mich, in Erscheinung zu treten. Ich muß jetzt mit meiner Enttäuschung fertig werden. Das sollte nicht sein. Es ist kein gutes Gefühl.
»Flossie«, sagte Charles mit zusammengebissenen Zähnen. »Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht. Ich war so erregt. Es tut mir leid.«
Das schlanke Mädchen, nur ein Schatten in der Dunkelheit, zog ihren Rock herunter und legte sich neben Charles nieder. Sie legte einen Arm über ihn und sagte nahe an seinem Ohr: »Es macht nichts. Es ist nicht so schlimm. Ich weiß ja, Charles. Ich möchte ja auch, aber wir können nicht. Ach, Charles, ich möchte wirklich.«
Sie begann jetzt wieder zu weinen, während Charles auf dem Rücken lag, die Augen zum sternenschimmernden Himmel gerichtet, und spürte, wie sein Blut sich langsam wieder beruhigte. Das, dachte er, durfte nie wieder passieren; solche Situationen mußten vermieden werden, denn irgendwann einmal würde die Macht, die in ihm wohnte, das Letzte herbeizwingen, und er würde sich dann der Verletzung irgendeines armen Mädchens schuldig machen, das ihm nicht widerstehen konnte. Tränen schossen ihm in die Augen vor Zorn und Kummer darüber, daß er nicht in der Lage war, selbst sein Leben in die Hand zu nehmen, ständig von dieser Begierde getrieben wurde.
Als sie beide wieder ruhig waren, gingen sie quer über das Feld, um niemandem zu begegnen. Am Tor zum Hof der Portolas umarmten Charles und Flossie einander in einem langen Kuß, doch gerade als neue Erregung sich aufstauen wollte, riß sich das Mädchen los und rannte zum Haus. Charles hörte noch, wie sie ihm »gute Nacht« zurief, dann war sie verschwunden.
Er rannte eine Weile über die Felder, mied die Straßen und Gassen und gab sich seinem Haß auf das Tier hin, auf das Ungeheuer, das er jetzt in solcher Nähe fühlte, daß er beinahe den heißen, gierigen Atem an seinem Ohr spüren konnte. Es schien so wirklich und leibhaftig neben ihm, daß er zusammenfuhr, als es in seinem Geist zu sprechen anhob.
»Charles, ich glaube, das, was du das Ungeheuer und den Helden nennst, ist dasselbe.«
»Gar nicht«, sagte Charles laut in die Frühlingsnacht hinein. »Du bist stark und schlau wie ein Bär oder ein Wiesel, aber dir liegt nichts daran, gut und ehrenhaft zu sein, weil du kein Mensch bist.«
»Wir sind ein und dasselbe Geschöpf, Charles. Wir stehen im selben Raum, atmen dieselbe Luft, essen dieselbe Nahrung.«
Der Junge blieb stehen, das glatte Gesicht in einer düsteren Miene des Widerwillens verzogen.
»Ich esse kein rohes Fleisch«, sagte er. »Ich bringe nachts die Hunde nicht zum Heulen. Vor mir laufen die Leute nicht in hellem Entsetzen davon, wenn sie nur meinen Schatten sehen. Und ich bin auch kein Ungeheuer, das sich schamlos an einem hilflosen Mädchen vergreift, nur weil sie ein bißchen außer Kontrolle ist.«
»Ich nehme mir, was ich brauche.
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