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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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die Hände vor sich gefaltet. »Aber er ist ein so guter Junge, und meine Tochter hat mir erzählt, daß er ihr das Leben gerettet hat, als sie zu Weihnachten mit ihrem Auto einen Unfall hatte. Es tut mir richtig weh, den armen Jungen krank zu sehen. Er ist so lebendig. So ein braver, kräftiger Junge.«
    Sie folgte dem Arzt zur Tür.
    »Ich will nicht sagen, daß er über den Berg ist«, bemerkte der Arzt, während er in seinen Mantel schlüpfte, »aber er ist jung und er bekommt gute Pflege. Wenn sein Atem wieder verstopft klingt und er zu röcheln anfängt, dann holen Sie mich, ganz gleich, um welche Tages- oder Nachtzeit. Ja?«
    Etwas war mit ihm im Wasser. Er versuchte, es zu sehen, aber es war immer hinter ihm, wie sein Schatten, wenn das Licht in seinen Augen stand. Nie konnte er es richtig sehen. Aber er konnte hören, was es sagte, und er überlegte, wie man unter Wasser überhaupt sprechen konnte.
    »Es ist dein Körper, Charles«, sagte die Stimme leise. »Du bist für ihn verantwortlich. Du mußt selbst wieder gesund werden. Ich kann dir da nicht helfen, Charles. Aber manchmal machst du wirklich schlimme Dummheiten.«
    Charles empfand Zorn, doch irgendwie schwächte das Wasser, das so warm war wie ein heißes Bad, den Zorn ab. Er konnte nicht richtig wütend werden, deshalb hörte er einfach nur zu und ließ sich vom Wasser treiben und einschläfern, bis er ganz zu träumen aufhörte und wirklich einschlief, in einen Schlaf fiel, in dem es keine Träume gab.
    Als er die Augen aufschlug, sah er, daß Miss Wrigley ihn besucht hatte, und ein Arzt mußte auch dagewesen sein, denn es roch nach Arzt im Zimmer. Sie hatte ihm sein Schnappmesser und die dicken alten Handschuhe dagelassen, die er beim Schlagballspiel immer trug. Und die gelben Narzissen in der hohen Vase waren sicher auch von ihr.
    Er holte tief Atem, doch seine Brust tat sehr weh dabei. Es fühlte sich so an, als hätte er viele kleine Schläge auf die Brust bekommen, denn sie schmerzte überall, wie ein einziger großer Bluterguß. Doch es war leichter zu atmen, und seine Augen brannten nicht mehr so schlimm wie vorher. Es war dunkel im Zimmer. Nur die Lampe draußen im Flur warf einen langen trüben Lichtstreifen auf den Boden. Er versuchte, sich aufzusetzen, aber da tat sein Kopf weh, und er ließ sich wieder zurücksinken. Nun, er war wenigstens nicht tot. Und dann fiel ihm ein, was er verloren hatte.
    Fast zwei Wochen später trat Charles noch ein wenig wacklig durch die Tür hinaus ins Sonnenlicht der letzten Apriltage. Blätter sprenkelten die Bäume wie eine Schar von grünen Schmetterlingen, und in den Zweigen hockten die Vögel und zwitscherten. Überall rund um das Haus steckten Blumen ihre Köpfe aus der Erde, und die Eichhörnchen, die so ausgehungert gewesen waren, daß sie versucht hatten, das Dach vom Haus zu knabbern, huschten an den Bäumen hinauf und hinunter, als hätte es nie einen Schneesturm gegeben, in dem sie beinahe erfroren wären, als würde die Welt nun für immer warm und heiter bleiben, der Winter nie zurückkehren.
    Mit Douglas zusammen, der ihn abholte, ging er zur Schule und bemühte sich, fröhlich und lustig zu sein, obwohl ihm der Verlust, den er erlitten hatte, die neue Unsicherheit, die er von nun an würde ertragen müssen, das Herz schwer machten. Douglas schien stiller als sonst.
    Es war nicht mehr so wie früher, dachte Charles, als er in der dritten Reihe vom Fenster saß, der Sechstkläßlerreihe mit Runt Borsold, Mary Mae Martin, Paul Holton und Brenda Gustafson. Die Stunden waren alle langweilig, und es schien kaum der Mühe wert, die Bücher zu lesen, wenn er nur ein wenig zur Seite zu blicken brauchte, um Flossie Portola anzusehen, die mit ihm flirtete, wenn er sich nur ein wenig nach rückwärts zu beugen brauchte, um Brenda flüsternd zu bitten, ihm die Schulter zu kratzen, was sie kichernd mit einem scharfen Fingernagel zu tun pflegte, so daß sich ihm das Haar sträubte vor Wohlbehagen. Für die Hausaufgaben konnte er kein Interesse aufbringen, kam mehr als einmal nach einer Nacht wilden Herumtollens auf den Feldern und Wiesen mit leerem Heft zur Schule. Es war nicht so, daß er müde gewesen wäre. So etwas machte ihn nicht müde. Die Bücher schienen einfach belanglos und unwichtig. Er sah Miss Wrigley nicht mehr an, meldete sich nicht mehr so häufig wie früher, schien sich mehr für das zu interessieren, was außerhalb der Schule vorging, als für das, was sich im Unterricht tat. Miss

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