Westwind aus Kasachstan
von künstlichen Bewässerungen zu studieren, obwohl es in Bayern wohl kaum Gebiete gab, die man künstlich bewässern mußte.
»Mein lieber Wolfgang Antonowitsch«, sagte Kiwrin freundlich, »nehmen Sie Platz. Auch ein Glas Bier? Was führt Sie zu mir? Sie sehen nicht fröhlich aus. Eher wütend. Wo knackt es im Gebälk?«
»Ich komme von Semjon Bogdanowitsch Zirupa –«
»Oje!« Kiwrin nahm einen tiefen Schluck Bier. »Mir kratzt es im Hals bei diesem Namen. Was Sie mir jetzt auch erzählen werden, Wolfgang Antonowitsch … ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Sie als Parteisekretär –«
»Kein Wort weiter!« Kiwrin winkte ab, als verjage er eine lästige Mücke. Er stellte den Maßkrug neben seine Füße auf den Schreibtisch und vollführte mit der rechten Hand eine weite Geste. »Was sehen Sie hier? Arbeit! Ein Berg von Arbeit. Angenommen, ich nehme mir den Genossen Zirupa zur Brust. Was ergibt das? Einen Bericht nach Zelinograd zum Kreissowjet. Zirupa wird nach Zelinograd befohlen. Auch ich muß kommen. Großes Geschrei, jeder möchte jeden anspucken. Zirupa ist voller Ausreden, man wird auch Sie heranholen, Wolfgang Antonowitsch, und dann wird es noch verwirrender, weil Sie von den Deutschen abstammen, da ist es noch schwerer, recht zu bekommen … Sagen Sie nicht, daß Sie seit fünfzig Jahren in Kasachstan sind. Was bedeutet Zeit in Rußland, man haucht in die Luft und ein Jahrzehnt ist vorbei … Kurzum: Es gibt nur neue Arbeit, völlig sinnlose Arbeit, denn auch der Kreissowjet hat kein Interesse daran, den Fall bis nach Alma-Ata zur Regierung weiterzureichen. Dort sitzen ja auch Beamte, die ihre Ruhe haben wollen.« Kiwrin griff zum Maßkrug, trank ihn aus und seufzte tief auf. »Die Welt ist nun mal so«, sagte er philosophisch. »Wir ändern sie nicht.« Er sah Weberowsky fragend an: »Haben Sie noch etwas vorzubringen, Genosse Wolfgang Antonowitsch?«
»Ja!« antwortete Weberowsky. Seine Sturheit war allgemein bekannt und überraschte Kiwrin deshalb nicht. »Ich brauche einen Mähdrescher.«
»Mehr nicht? Wie bescheiden.« Kiwrins Stimme ertrank in Spott. »Ich setze Sie auf die Liste. Sie haben, wenn ich nicht irre, den 98. Platz.«
»Ich brauche ihn sofort, Genosse Kiwrin. Die Ernte verkommt sonst, und Zirupa weigert sich, von der Sowchose einen zu leihen. Dabei stehen drei Drescher ungenützt herum.«
»Die Planwirtschaft! Man kann den Genossen Zirupa nicht zwingen.«
»Deshalb bin ich hier. Ich weiß aus der Zeitung, daß Amerika als Beweis der neuen Freundschaft mit der Sowjetunion Gorbatschow fünfundvierzig modernste Mähdrescher geschenkt haben soll. Neunzehn davon sind nach Kasachstan gekommen, zehn stehen im Depot Semipalatinsk, fünf in Karaganda und vier – ziehen Sie nicht so erstaunt die Brauen hoch – verbergen sich hier in Atbasar.«
»Was diese Zeitungen alles wissen!« Kiwrin zeigte demonstrativ auf seine Hose. »Wo habe ich sie denn, die Mähdrescher? Hier in meinen Taschen?«
»Sie stehen versteckt in einer Lagerhalle.« Weberowsky lächelte breit. Kiwrins Gesicht glich dem eines beleidigten Kindes. »Ich kaufe Ihnen einen ab, Michail Sergejewitsch.«
»Haben Sie 120.000 Rubel im Beutel?«
»Die Mähdrescher sind ein Geschenk der USA! Genosse Kiwrin, wollen Sie Geschenke verkaufen? Ich biete Ihnen trotzdem 12.000 Rubel.«
»Sind wir in einem orientalischen Basar? Wolfgang Antonowitsch, machen wir uns doch nichts vor! Das Verteilungsverfahren –«
»Unsere Ernte verdorrt auf den Feldern! Genosse Kiwrin, wir waren immer gute Freunde …«
»Nicht auf die Tränendrüsen drücken, Weberowsky!« Kiwrin winkte mit beiden Händen ab. »Ein amtlicher Verwaltungsakt ist frei von Emotionen. Nur soviel kann ich Ihnen sagen: Ich werde die Lage in Nowo Grodnow prüfen.«
Die Prüfung kam erstaunlich schnell zum Abschluß. Schon drei Tage später konnten Weberowsky und sein ältester Sohn Hermann den neuen, blitzenden, gelblackierten und modernsten Mähdrescher der Amerikaner in Atbasar abholen. Der Genosse Kiwrin war an diesem Tag nach Karaganda gefahren. Er hatte nicht die Absicht, das Gefährt den Deutschen eigenhändig zu überreichen. Das tat einer seiner Assistenten mit einer deutlich sauren Miene.
Vor zwei Jahren war das gewesen. Nun also saß Weberowsky auf seinem Prunkstück und sah der Staubwolke entgegen. Aber als er erkannte, wer da herangefahren kam, stieg er vom Sitz und lehnte sich gegen das große Vorderrad. Der Fahrer im grünen Wolga-Wagen hustete beim
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