Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zu töten und wegzujagen wie tolle Hunde.
    Es konnte nicht anders kommen. Die Leute von Nowo Grodnow ergriffen die nächsten Gegenstände … Stühle, Hocker, Biergläser, Flaschen, Zaunlatten, Schaufeln, Besen und Ochsenpeitschen … und droschen auf die Zirupa-Männer ein, als seien sie reifes Korn.
    Niemand erfuhr natürlich von dieser ›Frühlingsschlacht‹, wie man den Vorfall bald nannte, denn was hätte das an Untersuchungen bedeutet, beim KGB des Kreisverbandes bis zur Regierung in Alma-Ata, und sowohl Zirupa wie auch die Bauern von Nowo Grodnow wären hart bestraft worden. Seitdem aber steckte ein Stachel in aller Herzen. Am eifrigsten in der Hetze gebärdete sich die im Krieg berühmte und als ›Heldin der Nation‹ ausgezeichnete Scharfschützin Katja Iwanowna Beljakowa, die jetzt in der Sowchose das gesamte Magazin verwaltete. Sie war nun vierundsechzig Jahre alt, dick wie ein Hefekloß und konnte anhand ihrer alten Schußbücher nachweisen, daß sie im Krieg, an der Front bei Charkow, zwölf Deutsche durch präzisen Kopfschuß getötet hatte. Das hatte ihr drei Orden eingebracht, die sie nicht nur an Feiertagen der Partei, sondern immer, täglich, an ihre Kleider heftete.
    »Gebt mir ein Tukarew-Gewehr …«, hatte sie nach der ›Schlacht‹ geschrien, »… und das Problem Nowo Grodnow ist in einer Woche gelöst!«
    Vor zwei Jahren also hatte Weberowsky vor dem finsteren Zirupa gestanden und um einen Mähdrescher gebeten. »Nichts da«, hatte Zirupa schroff erwidert. »Wir brauchen ihn selbst.«
    »Sie wissen, Semjon Bogdanowitsch«, hatte Weberowsky geantwortet, »daß Sie nach dem Landwirtschaftshilfegesetz verpflichtet sind, uns einen Mähdrescher zu leihen.«
    »Nicht, wenn wir sie selbst dringend brauchen … erst hinterher.«
    »Auf dem Fahrzeughof stehen drei Mähdrescher herum und sind nicht im Einsatz …«
    »Wollen Sie meinen Einsatzplan kritisieren, Wolfgang Antonowitsch?« hatte Zirupa losgebrüllt. Einen roten Kopf bekam er, und sein Schnauzbart, den er nach Kasachenart halblang, mit herunterhängenden Spitzen trug, zitterte vor Zorn. »Zum letztenmal: Ich kann keinen Mähdrescher entbehren! Sie haben ihre Planzeiten! Reden wir also nicht weiter darüber –«
    »Und wie soll ich unsere Ernte einbringen?«
    »Jeder hat sein Problem, und das ist Ihres.«
    »Das ist alles, was Sie zu sagen haben?«
    »Ja!« Es klang wie ein Triumphruf aus Zirupas Mund. Endlich habe ich ihn. Seine Ernte wird auf den Feldern verdorren. Auch wenn sie mit der Hand mähen, Tag und Nacht. Es wäre, als wollten sie die Taiga rasieren. Die Herbststürme sind schnell da. Ihr verdammten, stolzen, arbeitswütigen Deutschen, ihr seid seit zweihundert Jahren keine Russen geworden, schon gar nicht sowjetische Genossen. Spüren sollt ihr das.
    »Ich werde den Kreisrat anrufen«, sagte Weberowsky erstaunlich ruhig. Er nahm seine Mütze vom Tisch und zog sie über den grauen Schädel.
    »Auch der kann keine Mähdrescher zaubern.« Zirupa rülpste laut und hob entschuldigend die Schultern. »Verzeihung, aber ich habe Hunger. Ich muß etwas essen. Wenn ich Hunger habe, spricht mein Magen immer so mit mir. Unangenehm, aber nicht abzustellen.« Zirupa ging zur Tür, und dort brachte er mit einem Lächeln noch die größte Frechheit hervor: »Eine gute Ernte, Wolfgang Antonowitsch …«
    Weberowsky hatte die Lippen zusammengepreßt. Vor seinen Augen lagen die üppigen, wogenden Felder, und er hieb die Fäuste gegeneinander. Fahren wir also nach Atbasar, dachte er. Zu Michail Sergejewitsch Kiwrin, dem Bezirkssekretär der Partei. Er ist ein guter Freund über Jahre hinweg, ein liberal denkender Mensch, kein kommunistischer Natschalnik, kein engstirniger Parteigenosse. Gerechtigkeit ist seine Auffassung, und, seien wir ehrlich, Gerechtigkeit kann man in Rußland suchen wie eine Nadel im Heuhaufen.
    Der Genosse Kiwrin empfing Weberowsky sofort, obwohl es immer hieß: »Anmeldung eine Woche vorher. Der Genosse Bezirkssekretär ertrinkt in Arbeit.« Das mochte sein. Als Weberowsky das karg ausgestattete Büro betrat, von dessen sonst kahler Wand in einem Wechselrahmen das Riesenfoto eines freundlich blickenden Gorbatschow lachte, saß Kiwrin in einem Flechtsessel, die Beine nach amerikanischer Art auf die Schreibtischplatte gelegt, und trank aus einem echten bayerischen Maßkrug ein gutgekühltes Bier. ›Die Maß‹ war das Geschenk einer bayerischen Regierungsdelegation, die kürzlich nach Kasachstan gekommen war, um die Anlagen

Weitere Kostenlose Bücher