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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stelle?«
    »Aber nein, mein Lieber. Das bedarf eingehender Beratungen, ich verstehe.« Kiwrin klopfte wieder gegen das Blech des Mähdreschers. »So ein schönes Maschinchen verläßt man nicht so leicht, ist's so? Das Herz hängt daran. Und diese fetten Felder! Die Bewässerungsanlagen! Die blühenden, bunten Gärten. Das schöne, bemalte Holzhäuschen mit den geschnitzten Türen und Fensterumrandungen. Wolfgang Antonowitsch, da hängen fünfzig Jahre Arbeit dran. Und wenn man dann noch bedenkt, daß das Ekel Semjon Bogdanowitsch Zirupa alles erbt … das Land, Geräte, alle Vorräte, den modernsten Mähdrescher … wirklich, das Herz wird einem schwer …«
    Weberowsky blickte über sein weites, goldenes Weizenfeld und wischte sich über die Augen. »Michail Sergejewitsch«, sagte er, »haben Sie Goethe gelesen?«
    »Ja, in der Schule.«
    »Kennen Sie seinen Faust?«
    »Nur kurze Auszüge.«
    »Im Faust gibt es einen Satan, der heißt Mephisto … so einer sind Sie.«
    »Mit Goethe beleidigt man mich nicht.« Kiwrin holte ein großes, blaues Taschentuch aus der Hose und fächelte sich Kühlung zu. »Nächste Woche wird es offiziell, mein lieber Weberowsky. Die Antragsformulare werde ich sicher bald erhalten. Ich werde Sie auffordern, sie in Atbasar abzuholen … für Ihr ganzes Dorf. Dann reden wir weiter darüber. Gekommen bin ich nur, weil wir – na, sagen wir – Freunde sind. Wie lange kennen wir uns?«
    »Ich glaube, neunzehn Jahre.«
    »Und keinen Streit in all den Jahren. Kann es sein, daß wir uns mögen?«
    »Es kann sein, Michail Sergejewitsch.« Weberowsky lächelte. Seine Erstarrung löste sich. »Ich danke Ihnen für die Vorinformation. Morgen berufe ich den Familienrat ein … und übermorgen die Dorfgemeinschaft. Ich werde Ihnen schon Zahlen nennen, wenn ich die Formulare abhole.«
    »Aber Sie selbst wissen schon, wie Sie sich entscheiden …«
    »Ja … Ich will zurück nach Deutschland.«
    »Dachte ich's mir doch. Ja, ja, ich hab's mir gedacht.« Kiwrin knöpfte sich das Hemd bis zum Hosengürtel auf. Ihm kam die Hitze jetzt doppelt so drückend vor. Neunzehn Jahre Zusammenarbeit ohne Streit verbinden, ein fast brüderliches Denken und Fühlen regte sich in der Brust. Warum will er fort aus Kasachstan, dachte Kiwrin, und so etwas wie Verbitterung bedrängte seine Seele. Lebt nun rund fünfzig Jahre hier, hat das schönste Dorf weit und breit gebaut, hat aus der Steppe ein ertragreiches Land gemacht, hat geschuftet bis zum Umfallen und die Natur besiegt, seinen größten Feind. Sogar eine Kirche haben sie gebaut, gleich 1942, als sie hier ankamen, ein Elendshaufen, zusammengepfercht wie Vieh. Ein paar Koffer, ein paar Kartons und Säcke und Bettzeug bei sich, das einzige, was ihnen geblieben war, alles andere hatte Stalin beschlagnahmen und verteilen lassen. Und da standen sie auf dem kleinen Bahnhof von Atbasar, und mein Vater hatte sie begrüßt mit den freundlichen Worten: »Da seid ihr nun! Ich habe euch nicht gewollt, aber Moskau hat euch uns geschickt. Was kann man dagegen tun? Ihr werdet Land bekommen und euch hinsetzen und heulen wie die hungrigen Wölfe, die aus der Taiga zu uns flüchten. Land, das eure Kraft auffrißt und euch immer wird hungern lassen! Aber ihr seid nun einmal hier. Es ist Moskaus Wille. Ich kann euch nicht helfen … von mir könnt ihr nur Holzlatten haben, um Kreuze zu zimmern. So ist die Lage! Ihr Deutschen betet doch … also fangt an und betet –«
    Und der stämmige Anton Weberowsky, Wolfgangs Vater, war vor den Haufen der Vertriebenen getreten und hatte mit fester Stimme geantwortet: »Wir wissen, was uns erwartet. Aber vergessen Sie nicht, Genosse: Seit hundertfünfzig Jahren sind wir russische Bürger und haben ein Recht auf Leben! Zum Sterben brauchten wir nicht Tausende von Werst in einem Viehtransport zu fahren – das konnten wir auch an der Wolga, einfacher und schneller vor den Maschinengewehren der Miliz. Man kann uns nicht töten … man kann nicht 1,5 Millionen auslöschen. Wir sind ein Problem geworden, das ihr nun lösen müßt …«
    Ja, so mutig hatte damals Anton Wilhelmowitsch Weberowsky gesprochen. In alten Zelten und in zwei aufgelösten Straflagern für politische Gefangene, die man abtransportiert hatte, um sie in Kasernen als Soldaten auszubilden, wurden die Umsiedler untergebracht und notdürftig ernährt. Die Landverteilung nahm einige Zeit in Anspruch … und dann stand eines Tages die Dorfgemeinschaft Grodnow auf einem versteppten

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