Widersacher-Zyklus 02 - Die Gruft
Schloss vor ihrer Tür hantierte. Sie war nicht hungrig oder durstig, sie wollte nur ein menschliches Gesicht sehen – selbst das von Kusum. Die Einsamkeit in der Kabine machte ihr zu schaffen.
Den ganzen Tag über hatte sie sich den Kopf zerbrochen, wie sie auf ihren Bruder einwirken konnte. Bitten würden nichts fruchten. Wie konnte man einen Mann durch Bitten umstimmen, der davon überzeugt war, einen gegen seinen Willen zum Glück zwingen zu müssen? Wie konnte man jemanden überzeugen, seine Handlungen zu ändern, wenn diese Handlungen seiner Meinungen nach zum eigenen Besten waren?
Sie war sogar so weit gewesen, dass sie sich nach etwas umgesehen hatten, was sie als Waffe benutzen konnte, hatte den Gedanken aber wieder verworfen. Selbst mit einem Arm war Kusum zu schnell und zu stark für sie. Das hatte er heute Morgen zweifelsfrei bewiesen. Und in seinem zerrütteten Geisteszustand würde ein Angriff ihn vielleicht vollends in den Wahnsinn treiben.
Sie machte sich auch Sorgen um Jack. Laut Kusum war er wohlauf, aber wie konnte sie da sicher sein nach all den Lügen, die er ihr erzählt hatte?
Sie hörte, wie sich die äußere Tür öffnete – Kusum hatte anscheinend Probleme mit dem Schloss gehabt – und Schritte sich ihrer Kajüte näherten. Ein Mann trat durch die Überreste der Tür. Er stand da, lächelte und starrte auf ihren Sari.
»Wo hast du denn das komische Kleid her?«
»Jack!« Sie flog in seine Arme, unsagbar erleichtert. »Du bist am Leben!«
»Überrascht dich das?«
»Ich dachte, Kusum hätte vielleicht…«
»Nein. Beinahe wäre es andersherum gewesen.«
»Ich bin so froh, dass du mich gefunden hast!« Sie klammerte sich an ihn, als wolle sie sichergehen, dass er tatsächlich da war. »Kusum will heute Nacht zurück nach Indien fahren. Bring mich hier raus!«
»Es wird mir ein Vergnügen sein.« Er drehte sich zu der zerschmetterten Tür um. »Was ist damit passiert?«
»Ich hatte Kusum eingeschlossen und er hat sie eingetreten.«
Sie sah, wie sich Jacks Augen weiteten. »Wie viele Tritte?«
»Einer. Glaube ich.« Sie war sich nicht sicher.
Jack spitzte die Lippen, als wolle er pfeifen, gab aber kein Geräusch von sich. Er begann zu sprechen, wurde aber von einem lauten Scheppern von der anderen Seite des Korridors unterbrochen.
Kolabati erstarrte. Nein! Nicht Kusum! Nicht jetzt!
»Die Tür!«
Jack war bereits draußen im Korridor. Sie folgte ihm schnell genug, um zu sehen, wie er mit voller Kraft seine Schulter gegen die Stahltür rammte.
Zu spät. Sie war verschlossen.
Jack hämmerte einmal mit der Faust gegen die Tür, sagte aber nichts.
Kolabati lehnte sich neben ihm gegen die Tür. Sie wollte vor Frustration schreien. Beinahe frei – und jetzt wieder gefangen!
»Kusum, lass uns heraus!«, schrie sie auf Bengali. »Siehst du denn nicht, dass das sinnlos ist?«
Keine Antwort. Nur aufreizende Stille von der anderen Seite der Tür. Und doch konnte sie die Gegenwart ihres Bruders spüren.
»Ich dachte, du wolltest uns voneinander trennen!«, sagte sie auf Englisch, nur um ihn zu provozieren. »Stattdessen hast du uns jetzt hier eingeschlossen, wo wir nichts als ein Bett und einander haben, um die Zeit totzuschlagen.«
Es folgte eine längere Pause und dann eine Antwort – ebenfalls auf Englisch. Die tödliche Präzision in Kusums Stimme erschütterte Kolabati.
»Ihr werdet nicht lange zusammen sein. Es gibt dringende Angelegenheiten in der Botschaft, die meine Anwesenheit erfordern.
Sobald ich zurückkomme, werden die Rakoshi euch beide trennen.«
Das war alles, was er sagte. Und auch wenn Kolabati seine Schritte auf dem Deck nicht gehört hatte, war sie doch sicher, dass er gegangen war. Sie blickte Jack an. Ihre Angst um ihn war ein körperlicher Schmerz. Es war für Kusum so einfach, ein paar Rakoshi auf Deck zu bringen, die Tür zu öffnen und sie auf Jack zu hetzen.
Jack schüttelte den Kopf. »Du hast wirklich ein Händchen dafür, genau das Richtige zu sagen.«
Er schien so ruhig. »Hast du keine Angst?«
»Doch. Furchtbare Angst.« Er tastete die Wände ab und strich mit den Fingern über die niedrige Decke.
»Was sollen wir nur tun?«
»Hier rauskommen, hoffe ich doch.«
Er ging in die Kajüte zurück und begann, das Bett zu zerlegen. Er warf die Kissen, die Matratze und das Bettzeug auf den Boden, dann zerrte er an dem eisernen Federrahmen.
Er ließ sich mit einem Quietschen anheben. Er bearbeitete die Schrauben, die das Gestell
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