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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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Er ist nicht mit Duns Scotus zu verwechseln, einem schottischen Theologen.
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    Bibliothekar Anastasius, hielt es nicht für möglich, daß ein »Barbar«
    wie Scotus Eriugena so gut Griechisch konnte. Doch er konnte es sehr wohl. Seine De Divisione Naturae (Über die Teilung der Natur) zu lesen, nachdem wir uns in die Volksliteratur vertieft haben, ist ein wahrer Schock: Man befindet sich wieder in der Welt Platons. Hier ist ein Geist am Werk, der die feinsinnigsten Unterscheidungen der
    griechischen Philosophie versteht und – was noch wichtiger ist – ein neues Denksystem entwickelt, das ausgewogen und in sich logisch ist.
    Es hat mehr als ein bißchen von der keltischen Denkweise, denn
    Johannes Scotus’ Lieblingswort ist Natur – ein Wort, das die Iren liebten, das aber sowohl die Platoniker als auch die römischen Christen auf die Palme trieb. In Johannes Scotus’ System ist Natur ein Synonym für Realität – und zwar für die ganze, also unsere natürliche Welt und die Realität Gottes. Bei Scotus gibt es keine Unterscheidung zwischen natürlich und übernatürlich. Obwohl sein System feinsinnig und anspruchsvoll ist, erkennt man sofort, daß er sich an Patricks schlichte Weltsicht anlehnt: Die Realität ist ein Kontinuum, und alle Kreaturen Gottes sind Gotteserscheinungen, denn Gott spricht in
    ihnen und durch sie.
    Für die Leser einer späteren rigoroseren Zeit klingt diese Behauptung verdächtig nach Pantheismus – wenn Gott nicht in allen Dingen, sondern alles ist, gibt es keinen Unterschied zwischen Gott und der Schöpfung. Je weiter man liest, desto unorthodoxer erscheint die
    Philosophie dieses Iren. Kühn stellter Verstand und Autorität einander gegenüber: »Jede Autorität, die nicht durch wahren Verstand
    bestätigt wird, scheintschwach zu sein, wohingegen der wahre Verstand nichtdurchAutorität gestützt werden muß.« Dies wagte er den Kirchenvätern zu unterbreiten! Mehr noch: Mit der völ- lig orthodoxen Aussage von Paulus, daß Gott am Ende »Alles in Allem« sein
    werde, untermauerte er sogar, daß am Jüngsten Tag alle – selbst die Teufel – gerettet würden! Im Jahre 1225, beinahe vier Jahrhunderte später, befahl Papst Honorius III., daß alle Exemplare von De Divisione Naturae verbrannt werden sollten. Offensichtlich sind einige diesem Freudenfeuer entgangen.

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    Doch im Zeitalter von Johannes Scotus Eriugena verbrannten christliche Kirchenmänner keine Bücher. Das taten nur Barbaren.

    Als Johannes Scotus von Irland nach dem Kontinent reiste, stand
    Irland unter Belagerung. Die Wikinger hatten die friedlichen Klöster entdeckt, die voller kostbarer Gegenstände waren. Die Mönche errichteten runde Türme ohne Türen zu ebener Erde und brachten ihr Essen auf Strickleitern hinauf, die sie hinter sich einholten. Doch solche Türme waren für die Wikinger kein Hindernis, und auch die Mönche
    nicht, die mit der Zeit gefügig und zahm wurden. Und offenbar
    waren auch die Krieger kein Hindernis, von denen viele relativ friedliche, sogar gebildete Laien geworden waren. Die unwissenden Wi-
    kinger zerstörten viele Bücher, indem sie die juwelengeschmückten Einbände als Beute abrissen. Die ständige Angst der Mönche wird in dieser vierzeiligen Glosse deutlich:

    Eisig ist der Wind heute nacht,
    Der das weiße Haar des Meeres aufwirbelt.
    Gnadenlose Männer brauche ich nicht zu fürchten,
    Die von Lothland über einen ruhigen Ozean kommen.

    Die gnadenlosen Männer aus Lothland – Norwegen – konnten bei
    Sturm nicht landen, und der Sturm war bald der einzige Schutz, der den Küstenmönchen von Irland und Britannien noch blieb. Die Angriffe auf das magische Lindisfarne, nie versiegende Quelle der kost-barsten Insel-Kodizes, begannen in der letzten Dekade des achten
    Jahrhunderts, wie wir im Anglo-Saxon Chronicle für das Jahr 793 lesen:
    »Am sechsten Tag vor den Iden des Juni zerstörte die Plünderung der Heiden Gottes Kirche in Lindisfarne.« Die Mönche wurden ausgezo-gen und gefoltert; 801 kehrten die Plünderer zurück und steckten die Gebäude in Brand, 806 töteten sie viele Mönche, und 867 brannten sie die wieder errichtete Abtei nieder. Im Jahre 875 verließen die letzten geweihten Mönche Lindisfarne. In der ersten Dekade des neuen
    Jahrhunderts war Columcilles Iona an der Reihe, und wiederholt
    wurden »eine große Anzahl von Laien und Klerikern niedergemet-
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    zelt«. Das große Kloster mußte schließlich aufgegeben werden. Inis Murray wurde 802 zerstört

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