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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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Kameraden, die Franken und Thüringen evangelisiert
    hatten). Alcuins erster Meister Colgu war Ire gewesen, ebenso sein 176
    bester Freund Joseph, der ihn nach Frankreich begleitete und an
    seiner Seite starb; sein Nachfolger an der höfischen Schule war der irische Gelehrte Clemens Scotus.
    Mit dem Amtsantritt Karls des Großen als König der Fran- ken und, nach seiner überraschenden Krönung durch den Papst am Weih-nachtstag 800, als Heiliger Römischer Kaiser können wir statt von Gallien von dem Frankenreich sprechen (dessen Westteil das heutige Frankreich ist). Karl der Große herrschte während Europas erster
    Renaissance, einer kurzlebigen kulturellen Blüte, die seine Regie-rungszeit kaum überdauerte. Sein Verdienst lag in der allmählichen Wiederbelebung der Literatur, denn er drängte zur Anhebung des
    Wissenstandes an den wenigen verbliebenen Schulen. Daß er selbst
    Analphabet war und erst spät im Leben in mühevoller Arbeit einfache Text zu entziffern, jedoch nie richtig schreiben lernte, sagte genug über das geistige Niveau des Zeitalters. Ohne den Einfluß irischer Bücher wäre die karolingische Renaissance unmöglich gewesen. Das
    war der Grund, weshalb Karl der Große »amabat peregrinos« ( »d ie Wandermönche liebte«), wie uns sein Biograph Einhard berichtet.
    Tatsächlich schienen sie überall zu sein. Als Karl der Große darüber nachgrübelte, was wohl eine Sonnenfinsternis sein könnte, wurde
    Dungal, ein irischer Einsiedler aus Saint Denis, gebeten, den König in diesen abstrusen Angelegenheiten zu unterweisen, was er mit Hilfe eines Briefes tat, der erhalten geblieben ist. Am fränkischen Hof weilte auch der Ire Dicuil, der erste mittelalterliche Geograph, dessen kühler Skeptizismus und dessen ironische Bemerkungen in seinem Liber de mensura orbis terrae (Buch über die Berechnung des Erdkreises) heute noch unterhaltsam sind. Ein weiterer irischer Höfling war Sedulius Scotus, ein unterhaltsamer Ciceronianer, der den Kaiser in Staatsdin-gen beriet und dessen Verse die Kaiserin Irmingard sammelte. Sedulius kopierte drei Manuskripte, die noch existieren: einen griechischen Psalter in der Arsenal-Bibliothek von Paris, eine griechisch-lateinische Interlinearversion des Evangeliums in Sankt Gallen und den Codex Boernerianus in Dresden, eine Interlinearversion der Paulusbriefe; sie enthält das kleine irische Gedicht über die Unsinnigkeit einer Pilgerreise nach Rom, das offensichtlich von Sedulius selbst stammt. Zudem 177
    zeichnet entweder Sedulius oder jemand aus seinem Umfeld für den
    Sankt Galler Priscian verantwortlich, der mit saftigen irischen Glossen gespickt ist; außerdem für den Codex Bernensis, der die Oden von Horaz, Servius’ Kommentare zu Vergil und einige der Lehrbücher
    enthält, die Augustinus für seine Rhetorikschüler geschrieben hatte.
    Die herrlichste Blüte dieses kontinentalen Frühlings war der Ire Johannes Scotus Eriugena*, geboren um 810. Er reiste mit Anfang Drei-
    ßig in das Frankenreich und nahm eine Stellung in der Palatinischen Schule an, die zu dieser Zeit unter dem Schutz des Enkels von Karl dem Großen Karls des Kahlen, stand. Johannes Scotus, der vermutlich Laie war, ist der erste Philosoph des Mittelalters, der erste wahrhaft christliche Philosoph seit Augustinus’ Tod im Jahre 430, und der erste europäische Philosoph seit der Hinrichtung von Boethius im Jahre 524
    – der erste Mann seit dreihundert Jahren, der denken konnte. Er hatte zudem einen beißenden Humor, wie man an diesem Zweizeiler über
    den Tod des anti-irischen Erzbischofs von Reims, Hincmar, sieht:

    Hic jacet Hincmarus, cleptes veheinenter avarus,
    Hoc solum gessit nobile: quod periit.

    Hier liegt Hincmar, der habsüchtige Geizhals,
    Doch eine edle Sache tat er: er starb.

    Seine weingetränkten Abendessen mit dem Kaiser waren ein einzi-
    ger Schlagabtausch. »Quid distat inter sottum et Scottum?« (»Was trennt einen Dummkopf von einem Iren?«) fragte der Kaiser vergnügt.
    »Tabula tantum« (»Nur der Tisch«), antwortete Eriugena. Kein Wunder, daß es eine Legende gibt, der zufolge seine Studenten ihn schließlich mit ihren Schreibfedern erstachen.
    Zu seiner Zeit war er einer von zwei Bewohnern des westlichen
    Europa, die fließend Griechisch sprachen. Der andere, der päpstliche

    * Johannes Scotus oder John der Ire; doch da viele Scoti zu dieser Zeit in irischen Siedlungen außerhalb Irlands geboren wurden, wird sein Name durch Eriugena, der Irisch-Geborene, spezifiziert.

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