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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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blonden Locken hervorquellen, umschließt den Kopf wie eine Kappe. Mady hat sich bei ihrem Mann untergehakt, in der freien Hand hält sie ein Bukett aus weißen Lilien, die sich bis auf den Boden zu ergießen scheinen.
    An der Hochzeitsfeier meiner Eltern nehmen, vorausgesetzt, alle Gäste haben sich in das bereits erwähnte Hochzeitsbuch eingetragen, rund dreißig Personen teil. Außer zwei Freundinnen meiner Mutter aus dem Pensionat und den Partnern der gemeinsamen Anwaltspraxis meines Vaters sind nur Familienmitglieder anwesend. Mein Onkel Josef Neckermann ist, das geht aus der Gästeliste hervor, ohne seine zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige heimliche Braut Annemarie Brückner zum Fest erschienen. Vier Jahre später wird Josef sie heiraten.
    Mady wird modebewusst. Ihr erster Mantel als frisch verheiratete Frau hat einen Kragen aus Fuchspelz, beim nächsten ist bereits der gesamte Saum mit Pelz besetzt, und bei dem ersten Ball, den das Paar gemeinsam besucht, umhüllt ein Cape aus Hermelin ihre schmalen Schultern. Ein weiteres Foto zeigt meine Mutter lässig an ein Kabriolett gelehnt. Sie trägt einen breitkrempigen Hut und blickt versonnen lächelnd in die Ferne.
    Unter all den Fotos, auf denen meine Eltern elegant gekleidet für die Fotografen posieren, entdecke ich eines, das anders ist und das mich besonders berührt. Es scheint wie aus Versehen in das Potpourri der Selbstdarstellungen geraten zu sein. Mein Vater hat das Foto auf der Hochzeitsreise aufgenommen. Seine schlafende junge Frau ist darauf zu sehen. Die Decke bis unters Kinn gezogen, hat sie sich in die Kissen vergraben. Die blonden Locken sind ihr ins Gesicht gefallen. Mit ihren entspannten Zügen erinnert sie an das Mädchen, dem sie gerade erst entwachsen ist. Nun ist sie eine junge Frau, die liebt und nichts mehr will, als dem schillernden Mann an ihrer Seite gerecht zu werden.
    Mit einem Gardemaß von einem Meter neunzig und einer stattlichen Figur ist mein Vater eine auffallende Erscheinung. Die schwarzen Haare, die schon in jungen Jahren an den Schläfen zurückzuweichen beginnen, sind nach hinten gestrichen, die Augen graugrün, die Augenbrauen dicht, die Lippen klar gezeichnet. Auf fast allen Fotos, die ich in Ermangelung eines persönlichen Eindrucks intensiv studiert habe, lächelt er mokant. Hans Lang ist ein attraktiver Mann, der auf Frauen, meist gewollt, eine starke Faszination ausübt – eine Tatsache, der meine Mutter im Laufe ihres gemeinsamen Lebens mit unterschiedlichen Strategien begegnet.
    Auf den meisten Fotos, die um 1930 entstanden sind, trägt mein Vater einen tief in die Stirn gedrückten Borsalino und die damals hochmodischen Hosen mit weitem Schlag. In einem Alter, in dem meine Söhne am liebsten in Jeans herumgelaufen sind, bevorzugt er Anzüge aus edlen Stoffen. Die breite Fliege wird sein Markenzeichen, mal gepunktet, mal gestreift und immer in leuchtenden Farben. Eine Großaufnahme zeigt ihn vor der Spielbank in Baden-Baden an eine Horch-Limousine gelehnt. Die Hände lässig in den Taschen seines Jacketts vergraben, schaut er hinter einer in die Stirn gefallenen dunklen Haarsträhne selbstbewusst, fast herausfordernd in die Kamera.
    Wie bei seiner Garderobe legt Hans auch bei seinem Gefährt Wert auf Extravaganz. Dass ein Auto für ihn eher ein elegantes Spielzeug darstellt als ein nützliches Fortbewegungsmittel, ist auch dem Hochzeitsbuch zu entnehmen. Angesichts der späteren tragischen Ereignisse muten die in Sütterlinschrift festgehaltenen Reime, die Jopi Pfeiffer als selbsternannter Chronist der Familien Neckermann und Lang auf der Hochzeit meiner Eltern vorgetragen hat, makaber an: Jopi berichtet von den Fahrkünsten meines Vaters mit Auto, aber ohne Führerschein und später mit Führerschein, aber ohne Verantwortung. Was seine Fahrweise zusätzlich beeinträchtigt, ist die Tatsache, dass Hans zeit seines Lebens links und rechts nur mit Mühe unterscheiden kann und im Zweifelsfall den linken Winker betätigt, wenn er rechts abbiegen will.
    So leichtsinnig und unbekümmert sich Hans in seinem Privatleben gibt, so ernsthaft und zielstrebig verfolgt er seine berufliche Laufbahn. Als Mitglied der katholischen Studentenverbindung Gothia wird mein Vater 1. AStA-Vorsitzender der Würzbürger Universität und hält anlässlich des 10. Deutschen Studententages 1926 vor viertausend Teilnehmern eine vielbeachtete Rede. In einer AStA-Schrift aus diesem Jahr werden »seine weltmännische Gewandtheit und vornehme

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