Wie funktioniert die Welt?
ermöglichte. Monogamie ist praktisch unausweichlich, wenn eine Frau ihr gesamtes Erwachsenenleben mit kleinen Kindern im Schlepptau verbringt, denn anders ist eine fortdauernde finanzielle Unterstützung nicht zu gewährleisten. Wenn es aber üblich ist, dass beide Geschlechter finanziell unabhängig sind, bricht diese Logik zusammen. Das gilt insbesondere für den wachsenden Anteil der Männer und Frauen, die sich entschließen, Kinder – wenn überhaupt – erst im mittleren Alter zu bekommen.
Mir ist klar, dass ein schneller Wandel im moralischen Kompass einer Gesellschaft mehr erfordert als nur die Beseitigung von Einflüssen, die den Status quo aufrechterhalten; darüber hinaus bedarf es eines aktiven Impulses. Worin besteht der Impuls in diesem Fall? Er erwächst einfach aus den Schmerzen und dem Leiden, die sich ergeben, wenn Besitzdenken und Eifersucht, die ein untrennbarer Bestandteil der monogamen Geisteshaltung sind, mit den gegensätzlichen Veränderungen von Zuneigung und Erwartung kollidieren, die zur Reaktion der Menschen auf ihre sich wandelnden Sozialbeziehungen gehören. Freiwillig zu leiden ist allen ein Gräuel. Deshalb hat die Erkenntnis, dass diese besondere Kategorie des Leidens völlig freiwillig ist, nicht nur eine unwiderstehliche moralische Kraft (über das Prinzip des Überlegungsgleichgewichts), sondern sie ist auch emotional ungeheuer nützlich.
Die Zeit ist reif.
Leonard Susskind
Boltzmanns Erklärung für den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik
Felix-Bloch-Professor für Physik, Stanford; Leiter des Stanford Institute for Theoretical Physics; Autor von Der Krieg um das schwarze Loch: wie ich mit Stephen Hawking um die Rettung der Quantenmechanik rang
»Welches ist Ihre tiefgreifende, elegante oder schöne Lieblingserklärung?« Für einen theoretischen Physiker ist das eine schwierige Frage; in der theoretischen Physik geht es ständig um tiefgreifende, elegante, schöne Erklärungen, man hat also die Auswahl unter vielen.
Mir persönlich sind Erklärungen am liebsten, mit denen man viel für wenig bekommt. In der Physik meint man damit eine einfache Gleichung oder ein sehr allgemeines Prinzip. Ich muss aber einräumen, dass mir keine Gleichung und kein Prinzip reizvoller erscheinen als die darwinistische Evolution mit dem Mechanismus der egoistischen Gene als Dreingabe. Für mich hat sie das Gleiche wie die besten Erklärungen in der Physik: eine Art mathematische Unausweichlichkeit. Es gibt aber viele Menschen, die die Evolution besser erklären können als ich, deshalb werde ich bei dem bleiben, was ich am besten kenne.
Der Leitstern für mich als Physiker war immer die Erklärung von Ludwig Boltzmann über den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik – das Gesetz, wonach die Entropie niemals abnimmt. Für die Physiker des späten 19 . Jahrhunderts war das ein schwerwiegender Widerspruch. Die Natur ist voller irreversibler Phänomene – Dinge geschehen leicht, spielen sich aber nicht in der umgekehrten Reihenfolge ab. Andererseits sind die grundlegenden Gesetze der Physik vollständig reversibel: Jede Lösung der Newton’schen Gleichungen kann man auch umgekehrt vornehmen, und es ist immer noch eine Lösung. Wenn also die Entropie zunehmen kann, besagen die Gesetze der Physik, dass auch die Abnahme möglich sein muss. Die Erfahrung lehrt uns aber etwas anderes. Wenn wir beispielsweise die Filmaufnahme einer Atombombenexplosion rückwärts ablaufen lassen, wissen wir ganz genau, dass es eine Fälschung ist. In der Regel ereignen sich die Dinge in einer Richtung, aber nicht in der anderen. Die Entropie nimmt zu.
Wie Boltzmann erkannte, ist der Zweite Hauptsatz, wonach die Entropie niemals abnimmt, kein Gesetz in dem gleichen Sinn wie Newtons Gravitationsgesetz oder das Faraday’sche Gesetz der Induktion. Es ist vielmehr ein Gesetz der Wahrscheinlichkeiten und hat die gleiche Stellung wie folgende naheliegende Behauptung: Wenn man eine Münze eine Million Mal wirft, wird die Zahl nicht eine Million Mal oben liegen. Das geschieht einfach nicht. Aber ist es möglich? Ja, es verletzt keine physikalischen Gesetze. Ist es wahrscheinlich? Überhaupt nicht. Nach ganz ähnlichen Prinzipien formulierte Boltzmann auch den Zweiten Hauptsatz. Er sagte nicht, die Entropie nehme nie ab, sondern er erklärte, die Entropie werde
wahrscheinlich
nicht abnehmen. Wartet man aber in einer geschlossenen Umwelt lange genug, wird man irgendwann sehen, dass die Entropie abnimmt; Teilchen und
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