Wie funktioniert die Welt?
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Die diesjährige
Edge
-Frage überlagert auf unbehagliche Weise eine andere, die tiefer geht: Woher haben wir die Vorstellung – die ziemlich absurde Vorstellung, wenn man mal einen Moment darüber nachdenkt –, dass die Schönheit einer Erklärung mit ihrem Wahrheitsgehalt zu tun hat? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Schönheit und Wahrheit? Gibt es irgendeine gute Erklärung dafür, warum der zentrale Begriff der Ästhetik (unscharf) in den zentralen Begriff der Wissenschaft (streng) einfließen soll?
Man könnte meinen, der Schönheitssinn sei kein Kriterium zur Beurteilung von Erklärungen, sondern ein Phänomen, das es
weg
zuerklären gilt. Nehmen wir beispielsweise unseren Eindruck, dass symmetrisch gebaute Gesichter und Körper schön sind. Wie sich herausstellt, ist Symmetrie ein guter Indikator für Gesundheit und damit für den Wert als Paarungspartner. Für einen Organismus stellt es eine beträchtliche Herausforderung dar, die Produktion seiner Milliarden Zellen so zu koordinieren, dass seine beiden Seiten sich in genauer Übereinstimmung entwickeln; ebenso anspruchsvoll ist es, Krankheiten abzuwehren und sowohl Verwundungen als auch Mutationen und Fehlernährung zu vermeiden. Symmetrische weibliche Brüste sind beispielsweise ein guter Vorhersageindikator für Fruchtbarkeit. Wie unsere wollüstigen Gene genau wissen, ist Symmetrie ein Anzeichen für genetische Robustheit; Einseitigkeit stößt uns ab. Das Gleiche gilt für andere Aspekte menschlicher Schönheit – für eine makellose Haut, leuchtende Augen oder (zumindest bei Frauen) jugendliches Aussehen. Unter dem Strich kann man also sagen: Wir wollen uns nicht mit Menschen paaren, weil sie schön sind, sondern sie sind schön, weil wir uns mit ihnen paaren wollen, und das wollen wir, weil unsere Gene auf sie als Replikatoren setzen.
Man könnte also meinen, dass sich Schönheit jeder Art auf ganz ähnliche Weise wegerklären lässt: als nachrangiges Phänomen, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, aber keine eigene Substanz hat. Damit bin ich bei der
Edge
-Frage nach schönen Erklärungen. Ist an diesem Begriff der schönen Erklärung etwas dran? Ist er ein Leitfaden für die Auswahl zwischen Erklärungsalternativen, oder liegt es einfach daran, dass jede zufriedenstellende Erklärung uns
allein aus diesem und keinem anderen Grund
als schön erscheint, so dass die Anspielung auf ihre Schönheit wieder einmal keine eigene Substanz hat? Das wäre eine Erklärung für das rätselhafte Vordringen der Ästhetik in die Wissenschaft. Es würde bedeuten, dass Erklärungen nicht deshalb zufriedenstellend sind, weil sie schön sind, sondern dass sie schön sind, weil sie uns zufriedenstellen. Sie entblößen das Phänomen, nehmen ihm alle Geheimnisse und ziehen vielleicht obendrein noch weitere Phänomene mit hinein, denen man mit Erklärungen des gleichen Typs ebenfalls die Rätselhaftigkeit nehmen kann. Kann man erklärerische Schönheit wegerklären und summarisch mit einer Erklärung beseitigen? (Solche beseitigenden Erklärungen sind schön.)
Ich möchte hier aufhören und mit einer schönen Erklärung die erklärerische Schönheit wegerklären, aber irgendjemand flüstert mir ins Ohr. Es ist der verdammte Platon. Er redet weiter davon, dass die Vorstellung von erklärerischer Schönheit mehr beinhaltet, als in der beseitigenden Erklärung anerkannt wird. Vor allem beharrt er wie im
Timaios
darauf, dass die Schönheit der Symmetrie, wie sie ihren Ausdruck insbesondere in der Mathematik der physikalischen Gesetze findet, sich nicht mit der Taschenspielerei des vorangegangenen Absatzes wegerklären lässt. Er wirft der beseitigenden Erklärung für die erklärerische Schönheit vor, dass sie die vielen historischen Beispiele übergeht, in denen das Beharren auf der Schönheit der Symmetrie zu beträchtlichen wissenschaftlichen Fortschritten führte. Was gab für James Clerk Maxwell den Anlass zu seinen vier Gleichungen des Elektromagnetismus, wenn nicht der Versuch, den Bereichen von Elektrizität und Magnetismus eine mathematische Symmetrie zu verleihen? Was inspirierte Einstein zu seinen Gravitationsgleichungen, wenn nicht das Festhalten an wunderschöner Mathematik?
Beseitigende Erklärungen sind schön, aber nur dann, wenn sie etwas wirklich und gründlich erklären. Statt eine Antwort auf die diesjährige
Edge
-Frage zu geben, biete ich deshalb eine ungelöste (und deshalb unschöne) Reaktion auf die tiefer gehende Frage an, auf die
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