Wie ich Rabbinerin wurde
hat sowohl männliche als auch weibliche Mitglieder. Doch wenn sie sich allgemein, das heißt im Namen aller, ausdrückt, tut sie dies, allein schon grammatikalisch, in männlichen Formen. Das Allgemeine – das »man« – ist männlich. Das abweichend Besondere hingegen wird herausgestellt durch die weibliche Endung
-in
. Doch das Allgemeine erkennt sich an dem Besonderen: dem Weiblichen, der
Chawa
(Eva, »Leben«),der »Mutter allen Lebens«, dem Medium zwischen Gott und Menschheit. Das – so deute ich den Text gegenüber meinen Freundinnen – drückt die Geschichte von der Erschaffung oder besser: von der Herausstellung der Frau aus.
Keine von uns steht unter dem apologetischen Zwang, das, was in der Bibel steht, gut oder gar heilig finden zu müssen. In unseren Lesarten spiegeln sich unsere thematischen Vorlieben wider: Michal entwickelt bei der Geschichte von Kain und Abel eine Theorie über den Konflikt zweier Menschheitsepochen – der im Kreislauf der Natur lebende Bauer, Kain, und der Tiere tötende Hirte, Abel. Gott nimmt in dieser Geschichte Abels Opfer an, begünstigt also den Hirten, der anders als sein vegetarischer Bruder nicht nur sät und erntet, sondern der über Lebewesen herrscht und sie tötet. Michal, die sich mit dem vegetarischen Bauern identifiziert, kann Gottes Entscheidung nicht akzeptieren, sie steht auf Kains Seite, wenngleich sie den Mord an Kains Bruder nicht gutheißt. Wir führen eine erste Diskussion darüber, wie politisch die Bibel ist, wie weit sie einen Diskurs über Herrschaftssysteme darstellt.
Mit unserer Art zu lesen kommen wir nur sehr langsam vorwärts. Nach einem Jahr, in dem wir uns an jedem Wochenende reihum bei einer von uns vieren treffen, sind wir gerade einmal bei den Geschichten um Abraham angelangt. Aber jede bahnt sich mit zum Teil sehr tief gehenden Deutungen einen eigenen, unbekümmerten Zugang.
Michal, die inzwischen ihr Kind geboren hat, fasziniert alles, was mit Schwangerschaft und Geburt zu tun hat. Sie rechnet aus, dass die Sintflut neun Monate dauert. Wir diskutieren, ob die ersten Geschichten möglicherweise verschiedene Neuanfänge darstellen – hier eine Geburt, dort ein Bund, dann eine Offenbarung. Vielleicht ist »Gott« ja gar nichts Feststehendes. Vielleicht scheitert auch Gott. Und vielleicht emanzipiert sich Gott anhand der Menschen.
Von Geschichte zu Geschichte verändert sich sein Verhältnis zu den Menschen.
Im Paradies verlangt Gott noch einen fraglosen Gehorsam. Seine Macht ist allumfassend. Entsprechend auch das Schuldgefühl des Menschen. Dieser ist beim ersten Übertritt nicht fähig, sich zu verantworten – besteht doch sein ganzes moralisches Bewusstsein nur im Gehorsam vor Gott. Wie der Verstoß des Menschen allumfassend ist, so auch die Strafe – die Vertreibung aus dem Paradies. Nach der Sintflut ändert sich jedoch das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Gott zieht sich hinter eine Grenze zwischen sich und seiner Schöpfung zurück. Er verspricht, die Welt nicht mehr zu vernichten, und schließt stattdessen einen Bund mit den Menschen. Dieser baut nicht mehr auf blinden Gehorsam, sondern auf eine Moral, gefasst in Gesetzen, die das Verhalten der Menschen messbar machen. Die Menschen erhalten einen Spielraum, in dem sie sich selbst zu beurteilen lernen und erst dadurch verantwortlich sein können.
Vielleicht lernt auch Gott dazu. Ja vielleicht geht es in der Hebräischen Bibel gar nicht um einen frommen Glauben, der Gehorsam und Demut vor einem immer gleichen, allmächtigen Gott verlangt.
Bei Abraham versucht Gott es mit einem neuen Bund. Einer, der Belohnung verspricht: Wer wie Abraham auf die göttliche Stimme hört und um des Rechts und der Gerechtigkeit willen den Aufbruch ins Ungewisse wagt, wird irgendwann sein Land dafür erhalten. Und später wird Gott mit Mose und dem Volk Israel am Berg Sinai abermals einen neuen Bund schließen – den Bund einer Nation, deren Mitglieder alle füreinander verantwortlich sind.
Mancher kathartische Moment prägt sich mir unvergesslich ein:
Gerade noch haben wir uns über die Willkür Gottes empört, mit der er die Frau Lots zur Salzsäule erstarren lässt, weil sie auf das brennende Sodom zurückschaut. Da steht Gabi auf und erklärt mit erschütternd klarem Blick: »Manchmal darf man im Leben nicht mehr zurückblicken, sondern muss einfach nur vorwärts gehen – sonst erstarrt man.«
Als wir die Geschichte von der Begegnung zwischen Abraham und Malkizedek lesen,
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