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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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möchte mir erst einmal meine eigene Meinung bilden, so entgegne ich, danach könne ich mich ja immer noch von einem Rabbiner belehren lassen. Tatsächlich hätte ich bis jetzt nichts von Rabbinern gelernt, was eine konkrete Bedeutung in meinem Leben entfalten könnte.
    Unwillkürlich wird mir bei diesem Gespräch bewusst, dass ich mich bereits in einer anderen Bahn bewege. Sie läuft auf ein alternatives Modell zu den bestehenden Vorstellungen vom Verhältnis des Rabbiners zu den Gemeindemitgliedern hinaus. Immer wieder würde ich in den kommenden Jahren diese Formulierung hören »den Rabbiner fragen«, und mir dabei denken: Wäre es nicht viel wichtiger, eigene Zugänge und vor allem ein eigenes Urteilsvermögen für die Inhalte des Judentums zu erschließen, statt die Verantwortung immer wieder an die Autorität des Rabbiners zu delegieren?
     
    Nicht dass es damals keine interessanten Rabbiner gegeben hätte, von denen ich etwas hätte lernen können. Während meiner Studienzeit ist Nathan Peter Levinson Rabbiner in Hamburg, Jahre später wird er mein rabbinischer Mentor. Ich schätze seine moderne Herangehensweise an die jüdische Religion sehr. Als ich ihn während meine Rabbinatsstudiums auf Mallorca besuche, wo er seit seiner Pensionierung lebt, und wir jeden Morgen nach dem Frühstück zusammen rabbinische Responsen zu politischen Themen lesen, frage ich ihn, warum die Rabbiner damals so wenig getan haben, um meine Generation anzusprechen. Ich erzähle ihm, wie ich mit meinen Freundinnen in Hamburg und später allein das gelernt habe, was ich von ihm gern gelernt hätte. Er antwortet, im Rückblick sei es ihm bewusst, dass meine Generation sich selbst überlassen geblieben ist. Doch es sei ihm damals so erschienen, dass sich die jüngeren Juden für religiöse Themen nicht interessierten. Außerdem habe er sich als Rabbiner anpassen müssen. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder sind zu diesem Zeitpunkt Überlebende der
Schoa
und stammen aus der untergegangenen Welt des osteuropäischen Judentums. Sie klammern sich an ihre alten, nostalgischen Erinnerungen an eine vermeintlich heile Welt, bevor die Deutschen eingefallen sind und sie zerstört haben. Als liberaler Rabbiner, der die Themen der Zeit aufgreife – Gleichberechtigung der Frau, kritische Fragen an die Gottesbegriffe in der Liturgie, Identifikation der jüdischen Religion mit der bundesrepublikanischen Demokratie   –, würde er sofort den Widerstand jener wenigen provozieren, die überhaupt noch zur Synagoge kommen. Ohnehin hätten fast alle gemeint, dass das einstige liberale deutsche Judentum – von vor der
Schoa
– gescheitert sei, weil es blind gegenüber der nationalsozialistischen Gefahr an das »gute« Deutschland geglaubt habe. Aus diesem Grund habe er, der in den 40er Jahren am liberalen Rabbinerseminar in Cincinnati studiert hat, die orthodoxen Regeln in den Nachkriegsgemeinden akzeptiert, auch wenn sie seiner Richtung, dem Reformjudentum, nicht entsprachen.
     
    Die »orthodoxen« Regeln, die nur die wenigsten Gemeindemitglieder selbst praktizieren, setzen dem jüdischen Leben scharfe Grenzen. Als frisch eingetragenes Mitglied der Hamburger Gemeinde bemühe ich mich um einen Raum für die Studentengruppe. Die erste barsche Frage des Vorsitzenden bringt das Anliegen sofort zu Fall: Sind die Studenten auch alle
halachische
Juden? Wenn nicht, könne er sie nicht hereinlassen.
    Die
Halacha
sind die jüdischen Gesetze.
Halacha
heißt »Weg« – und bislang habe ich darunter einen Weg verstanden, jüdisches Leben zu
ermöglichen
–, eine Anleitung sozusagen, wie man es am besten macht. Erstmals höre ich den Begriff jedoch nicht als etwas, das das jüdische Leben positiv bestimmt, sondern das zum Instrument wird, jüdisches Leben fernzuhalten.
    Bis dahin habe ich mich nie von Menschen, die nach der
Halacha
leben, ausgegrenzt gefühlt. Ich bewundere die wenigen alten Juden, die
koscher
essen, das heißt sich für teures Geld rituell geschächtetes Fleisch aus Frankfurt oder Antwerpen bestellen, kaum ins Restaurant gehen, bei festlichen Buffets auf die besten Leckerbissen verzichten, Menschen, die den Schabbat halten, das heißt nicht arbeiten, kein Auto fahren, keine Vergnügungen unternehmen, die etwas kosten, weil man am Schabbat kein Geld mit sich trägt, und vor allem die, die im Tagesablauf vorgeschriebenen Gebete und
Brachot
verrichten, das heißt schon frühmorgens sich das erste Mal Gott zuwenden und von da an alle Handlungen mit

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