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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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erkläre ich plötzlich: »Das Wort von Menschen ist wichtiger als das von Gott. Es ist in dieser Geschichte nicht Gott, sondern der Priester Malkizedek, der Abraham segnet. Wie kann sich Abraham sicher sein, dass Gott ihn erwählt hat und die Dinge geschehen lassen wird, die Gott ihm versprochen hat? Es gibt Momente, da hängt alles davon ab, dass ein anderer Mensch einem sagt, wer man ist.«
    Bei einer unserer Zusammenkünfte stellen wir fest, dass wir eigentlich dasselbe tun, was die Rabbiner schon seit 2000   Jahren tun: die Bibel neu auslegen. Seit unserem ersten Treffen schreibe ich jedes Mal im Anschluss Stichpunkte unserer Diskussionen auf und verfasse meinen eigenen Kommentar. Außerdem lerne ich alle neuen hebräischen Wörter, schlage viele im Wörterbuch noch einmal nach, um auch wirklich alle Bedeutungsebenen zu kennen. Die Töchter Lots werden in der hebräischen Bedeutung der Namen ihrer Söhne für mich zu Stifterinnen des Patriarchtes (
Moab
= »vom Vater«) und des Matriarchates (
Ben Ami
= »Sohn meines Volkes«). Für die langen Geschlechterfolgen zwischen Adam und Noah und zwischen Noah und Abraham lege ich ein Schema an. Ihre Namen deute ich als Chiffren. So entstehen zwischen den Geschlechtern Verbindungen, geistige Konzepte, die sich in den Namen ausdrücken und in den Namen der nächsten Generationen weiterentwickeln.
    »Gott« bleibt für mich ein befremdliches Wort. Glaube und Religiosität passen nicht in mein Selbstbild. Trotzdem beglückt es mich jedes Mal wieder, wenn wir die Bibel lesen und auslegen.

2.   Jüdische Identität

 
    Z usammen mit ein paar anderen jüdischen Studenten der Uni Hamburg gründe ich eine Studentengruppe, deren Sprecherin ich vorübergehend werde. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, eine Engländerin, eine Amerikanerin, zwei junge Männer ungarischer Herkunft, ein Holländer, mehrere Israelis, aber auch mehrere gebürtige Hamburger. Wir halten einen Studenten-
Seder
, sehen israelische Filme, beteiligen uns an einer Gedenkfahrt zum KZ Neuengamme und diskutieren über den in Deutschland immer noch vorhandenen Antisemitismus.
    Auch der Sohn eines Rabbiners gehört zu dieser Gruppe. Als er zu uns stößt, ertappe ich mich bei dem Gefühl, ihn um seine religiöse Erziehung zu beneiden. Zunächst schätze ich sein jüdisches Wissen meinem gegenüber als haushoch überlegen ein. Zu meinem Erstaunen ist er jedoch nicht nur genauso areligiös wie ich, sondern kann noch nicht mal Hebräisch lesen. Er beherrscht, wie sich herausstellt, auch die jüdischen Rituale nicht sicher. Die anderen sehen ihm das nach und scherzen. Als Rabbinersohn sei er schon mit einer Überdosis an Religion geschlagen und wolle sich zu Recht davon befreien. Das mag sein. Doch seine verlegene, geradezu verklemmte Reaktion auf meine neugierigen Fragen bringt, wie mir scheint, auch ein anderes Unbehagen zum Vorschein: Die jüdischen Rituale werden, wie ich sie bis dahin in ihrer traditionellen Form kenne, überwiegend von Männern ausgeführt. Der Vater sagt am Schabbat den
Kiddusch
, das männliche Oberhaupt leitet den
Seder
, der Sohn spricht den
Kaddisch
der Waisen.
    Ich spüre, dass diesem Rabbinersohn jedoch nicht nur Religiosität im Allgemeinen peinlich ist, sondern dabei vor allemdie ritualisierte Form jüdischer Männlichkeit. Das mutet bei ihm jedoch keineswegs wie eine bewusste Entscheidung an. Sein Blick ist plötzlich vage und sucht meinem fragenden Blick zu entgehen. Unausgesprochen und unbeabsichtigt steht das Tabu groß und fordernd zwischen uns. Die traditionelle Rolle des jüdischen Mannes erscheint plötzlich als etwas ganz und gar Unzugängliches. Ich vermute, dass dieser Sohn von seinem Vater statt einer Überdosis an Religion vielmehr ein ambivalentes Verhältnis zur Männlichkeit vermittelt bekommen hat. Aber wie kann es sein, dass ein Rabbiner seinem Sohn nur diese Ambivalenz vermittelt?
    Am Anfang unserer Unterhaltung geniere ich mich noch mit meinen Interpretationen der biblischen Texte. Doch als ich keine Überlegenheit an Kenntnissen bei ihm zu befürchten habe, erzähle ich ihm vom Tora-Lesen mit meinen Freundinnen. Befremdet runzelt er die Stirn. »Ihr solltet lieber mit einem Lehrer lernen, sonst lest ihr schnell etwas Falsches in die Texte hinein. Ich würde an eurer Stelle erstmal einen Rabbiner fragen.«
    Den Rabbiner fragen?
– Das sagt ausgerechnet er, der sich selbst distanziert. Schon damals nehme ich eine neue Selbstsicherheit in mir wahr: Ich

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