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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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einem kleinen Segen einleiten, der einen lehrt, das Leben zu schätzen. Ich selbst könnte freilich nicht so leben, brauche es aber auch nicht. Kein Jude, den ich kenne, verlangt es von mir – und auch nicht von den anderen.
    Man ist
halachisch
jüdisch, wenn die Mutter Jüdin ist oder man zur jüdischen Religion übergetreten ist. Historisch gesehen hat es immer wieder Zeiten gegeben, in denen diese Definiton zu eng war. So auch nach der
Schoa
. Verschiedene jüdische Gemeinden nehmen nach 1945   Menschen auf, die nach den N S-Rassekriterien »Halbjuden« oder »Mischlingskinder«, aberkeine
halachischen
Juden sind. Denn sie alle haben dasselbe jüdische Trauma durchlitten. Ohnehin sind die jüdischen Gemeinden für die Generation der Überlebenden mehr Schicksalsgemeinschaften denn religiöse Institutionen.
    Mit der Einstellung, einer Solidarfamilie anzugehören, in der alle zusammenhalten, habe ich mich an den Hamburger Gemeindevorsitzenden gewendet. Ich bin davon ausgegangen, dass er sich freuen würde, wenn jüngere Menschen den Weg ins Gemeindehaus fänden. Seine Frage, die ich in die Gruppe trage, verursacht jedoch fast unsere Spaltung. Es stellt sich heraus, dass mehrere der Studenten einen jüdischen Vater, aber keine jüdische Mutter haben oder nur ein jüdisches Großelternteil auf der »falschen Seite«. Danach sind sie keine
halachischen
Juden. Zwei bis drei Leute, von denen man schon insgeheim vermutet hat, dass sie »Verrückte« sind, haben überhaupt keine jüdischen Vorfahren und erdichten sich paranoide »Opfer«-Biographien. Das Gespräch rührt schnell an vielen wunden Punkten. Es droht an der ahnungslosen Naivität der wenigen Gemeindemitglieder zu eskalieren, die den nicht-
halachischen
Juden neue seelische Verletzungen beifügen. Von Letzteren haben manche bereits versucht, in eine jüdische Gemeinde einzutreten, zumal sie sich als Angehörige der »zweiten Generation« betrachten. Sie seien von der Gemeinde jedoch aufgeklärt worden, dass sie keine Juden sind. Einen Übertritt lehnen sie ab. Erstens sind sie nicht religiös, zweitens wollen sie nicht in eine Gemeinde eintreten, in der sie nicht willkommen sind.
    Ratlos lassen wir das Thema wieder fallen und treffen uns weiterhin außerhalb der Hamburger Gemeinde. Es bleibt jedoch ein Misstrauen – eine giftige Frage, die fortan viele immer stellen werden, wenn neue Mitglieder in die Gruppe kommen: Ist dies auch wirklich ein Jude? Für mich geht mit dieser Frage sogleich die nächste Frage einher: Was macht jemanden zum Juden? Nur die formalen
halachischen
Kriterien? Oder ist es mehr? Die jüdische Herkunft, die jüdische Geschichte, das jüdische Schicksal? Oder ist es noch mehr?
     
    Bei einem Abendessen mit der Studentengruppe bringe ich zum ersten Mal das mir immer unlösbarer erscheinende Dilemma zur Sprache: »Es gibt kein säkulares Judentum.« Nur wer aus einer religiösen Familie stamme, das jüdische Wissen also noch in sich trage, könne es sich erlauben, sich zu lösen und »säkular« zu werden. Ob bei einem Karl Marx oder einem Ernst Bloch oder einem Erich Fromm – aus ihren Ideen, die sich an eine säkulare, universelle Leserschaft wenden, hallen letztlich immer noch die religiösen Grundlagen des Judentums. Aber dieses zur säkularen Philosophie verwandelte Judentum für die
Gojim
bringe kein weiteres Judentum hervor, sondern ende mit seinen geistigen Trägern. Es hält sich gerade mal eine Generation, ohne ein geistiges Weiter für uns Nächste aufzuzeigen. Ohne die religiöse Inspiration gibt es kein jüdisches Leben, keine jüdische Identität, kein Jüdischsein. Es gibt jedoch auch keine jüdische Religion nur im Geiste. Man kann sie nur mit anderen zusammen
ausüben
. Wer aber würde von uns die Religion, die
Halacha
, den Kult und die Gesetze, noch praktizieren wollen? Der nicht-jüdische Freund einer Studentin am Tisch unterbricht mich unbekümmert: »Ich verstehe dein Problem nicht. Warum gestehst du dir nicht einfach ein, religiös zu sein?« Diese leicht dahingesagten Worte treffen mich ins Mark. »Aber ich bin nicht religiös!« Fast fange ich an zu weinen. Mir fehlt allein schon der Ausgangspunkt. »Ich
glaube
nicht an Gott!«
     
    1980 erscheint Lea Fleischmanns Buch
Dies ist nicht mein Land. Eine Jüdin verläßt die Bundesrepublik.
Es ist das Zeugnis einer jahrzehntelangen Nicht-Identifikation mit der deutschen Gesellschaft, die dazu führt, dass Fleischmann nach Israel auswandert. Ein Jahr später rechnet

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