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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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ja sogar in den Buchstaben, die mir zwar vertraut, aber doch noch nicht sofort zugänglich sind.
    Michal und Gabi sprechen fließend Hebräisch und haben keine Mühe zu lesen. Rita, die längere Zeit in einem Kibbuz gelebt und außerdem ein paar Semester Judaistik in Köln studiert hat, kommt einigermaßen gut durch den Text. Ich hingegen kann mich nur mit größter Mühe durch das Hebräisch kämpfen. Für fast alle Wörter brauche ich eine Übersetzung.
    Das ist mein Vorteil.
    Mir zuliebe lesen die anderen ganz langsam, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Bei jedem Wort, das ich nicht kenne – bei fast jedem Wort also frage ich nach einer genauen Übersetzung. Michal und Gabi, die beiden Israelinnen am Tisch, wissen sie mitunter auch nicht genau. Es stellt sich heraus, dass jedes hebräische Wort mehrere Bedeutungsebenen hat. Das liegt an der semitischen Grammatik, nach der sich in jedem Wort ein Stamm von drei Konsonanten verbirgt, dessen Bedeutung jedoch in verschiedene Richtungen gehen kann. So fangenwir an, über die verschiedenen Bedeutungen eines jeden Wortes zu diskutieren.
     
    Lange sprechen wir über die ersten drei Worte der Hebräischen Bibel:
Bereschit bara Elohim   …
(»Im Anfang schuf Gott   …«). Rita bemerkt, dass das hebräische
bara
(»schaffen«) etymologisch mit dem Wort
brit
(»Bund«) zu tun haben könnte.
Bereschit
bara
Elohim
– »Im Anfang
schuf
Gott«. Ich frage in die Runde hinein, ob dieses »Schaffen« oder »Schöpfen« nicht zugleich auch als ein Akt des »Verbindens« zu verstehen sei: »Im Anfang
verband
Gott Himmel und Erde.« Nicht dass die Elemente des Alls nicht schon da gewesen wären. Sie bekämen jedoch erst eine Existenz in der Zeit, wenn sie als miteinander verbunden, in ihrer Beziehung zueinander gesehen würden: Leben entsteht in Beziehungen. Das bedeutet, dass der erste Satz in der Hebräischen Bibel keine willkürliche Schöpfung von einem willkürlichen Gott aus einem willkürlichen Nichts behaupten, sondern aufzeigen wolle, wie sich die Elemente aufeinander beziehen. »Gott« wäre dabei möglicherweise nur der Teil des menschlichen Bewusstseins, der anfängt, sich der Verbindung zwischen allem Leben gewahr zu werden. Der eigentliche kreative Schöpfungsakt läge dann darin, Beziehungen herzustellen.
    Der erste Buchstabe ist nicht
Aleph
(A), sondern
Bet
(B). Der Anfang besteht bereits in der Vielheit, symbolisiert im zweiten Buchstaben des hebräischen Alphabetes mit dem Zahlenwert zwei.
Be …
heißt auf Hebräisch aber auch »in«.
Der Anfang entsteht in der Mitte einer Vielfalt.
    Was heißt
Elohim
– ins Deutsche übersetzt: »Gott«? Warum steht nicht
El
, also »Gott« im Singular?
Elohim
hat eine Pluralendung. Gabi verweist darauf, dass Gott an manchen Stellen im
Tanach
auch als
Eloha
bezeichnet wird. Ist
Eloha
nicht »Gott« mit einer weiblichen Endung? In der deutschen Übersetzung steht immer nur die eine Form »Gott«. Vielleicht drückt das hebräische Wort
Elohim
aus, dass im Anfang alles eins war –
El
und
Eloha
, männlich und weiblich,
Elohim
, Singular und Plural.
     
    Als ich nach diesem Treffen mit meinem neu gekauften
Tanach
wieder nach Hause fahre, bin ich völlig high. Ein neuer Anfang ist gemacht. Ich habe drei Freundinnen und einen gemeinsamen Anhaltspunkt. Ab jetzt würde ich mich aus meiner labyrinthischen Bezugslosigkeit herausbewegen, in der ich mich befinde, seitdem ich wieder in Deutschland lebe. Wir würden uns von nun an jede Woche treffen, weiter lesen und weiter diskutieren.
     
    Michal habe ich durch einen Aushang am Schwarzen Brett im Eingangsbereich der Hamburger Mensa kennengelernt. Jedes Mal, wenn ich an dem Meer von Zetteln mit Wohnungsgesuchen, Kauf- und Verkaufsangeboten vorbeigehe, springen mir das mit schwarzem Filzstift geschriebene »I teach Hebrew« und die dazugehörende Telefonnummer ins Auge. Doch erst als ich aus meiner Studenten-WG ausziehe, schreibe ich mir die Nummer auf und rufe an. Ich bin noch etwas niedergeschlagen von dem Gespräch mit meinen Mitbewohnern, das mir das Gefühl vermittelt, mich hoffnungslos im Abseits zu befinden. Die beiden haben mir kurz zuvor eröffnet, dass sie von mir enttäuscht seien: Ich würde an keiner der gemeinschaftlichen Aktivitäten wie etwa am gemeinsamen Kochen teilnehmen. Sie wünschten sich eine Mitbewohnerin, die zu einer wirklichen Gemeinschaft beitrage. Mit dem Gefühl, jetzt eine Entscheidung treffen zu müssen, steige ich aufs Fahrrad und fahre zur Mensa,

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