Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
auf der Straße vorbeifahren.
Ich gebe ihm die Colaflasche. An der Bushaltestelle habe ich sie mit Bier gefüllt.
Er schaut wieder über die Schulter, dann setzt er die Flasche an. Den ersten Schluck trinkt er gierig. Den zweiten behält er lange im Mund, ehe er schluckt. Den dritten spuckt er aus.
»Ich weiß genau, was sie mir geben.« Er dreht die Flasche in den Händen.
»Wenn ich eine neue Medizin bekomme, schlage ich immer in der Bibliothek nach. Wenn ich noch mehr trinke, schwillt mein Kopf an, und meine Augen werden trocken und tun weh.«
Ich öffne die Brottüte und gebe ihm ein trockenes Mohnbrötchen.
»Es gibt eine Methode, um den Weißen Männern zu entkommen«, sagt mein Vater und bricht ein Stück ab. »Eine Tür in der Wand, die man nur sieht, wenn man sie sehen will. Wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, hat man immer noch diese Tür.«
Er knabbert neugierig an dem Brötchen, bevor er die Vögel damit füttert, die sich um uns versammelt haben.
»Der Körper ist ja nicht so viel wert, er ist nur ein Kasten. Oder ein Käfig.«
Mein Vater lächelt und zeigt auf eine Möwe, die sich mit einem viel zu großen Stück Brot abmüht.
Dann wird er still und kratzt sich am Kopf, ein Krümel bleibt in seinen Haarstoppeln hängen. Ich bürste ihn weg.
»Ihre Wände, ihre verschlossenen Türen und ihre Zwangsjacken halten dich fest, damit du nicht abhaust. Damit du immer dort bist, wo sie dich haben wollen. Abteilung R, Flur 7, Zimmer 314. Und während sie deinen Körper mit Riemen festspannen, hält die Medizin deine Gedanken fest. Du siehst nichts anderes als deine Hände und die Wand.«
Wir schütteln das letzte Brot aus der Tüte, unsere zwölf Minuten sind vorbei.
»Ich habe es versucht«, sagt er, als wir über den Rasen zurückgehen. »Gott weiß, wie sehr ich es versucht habe. Aber ich habe keine Kraft mehr.«
Wir warten vor dem Eingang. Wie ein Schatten erscheint der Wächter hinter den Glastüren, mein Vater redet so leise, dass der Wind ihn fast übertönt.
»Du musst mir helfen, die Tür in der Wand zu finden«, sagt er. Dann lässt uns der Pfleger hinein.
E lsebeth klingelt mit ihrer Glocke, sie steht an der Treppe und wartet, sagt, dass mich jemand am Telefon sprechen will. Sie sieht leicht verwirrt aus, es ist das erste Mal, dass mich jemand anruft, ich habe niemandem ihre Nummer gegeben.
Ich glaube, es ist ein Deutscher, sagt sie, und ich folge ihr in die Küche. Der Mann am anderen Ende beginnt mit einer Entschuldigung. Er sei sehr betrunken gewesen, aber das ändere nichts an der Sache. Es ist Ulrich.
Elsebeth ist immer noch nervös, ich lächle und nicke beruhigend. Sie geht zurück in ihr Zimmer, wo klassische Musik im Radio läuft.
Ulrich fragt, ob ich seinen Brief bekommen habe, dann lacht er gequält. Ich könne ihn ja noch gar nicht haben, er habe ihn erst heute abgeschickt. Aber ich solle wissen, dass seine Worte ehrlich gemeint waren, egal wie betrunken er war.
Er mochte die Bilder wirklich und würde sie gern ausstellen. Eine Sonderausstellung, nur mit meinen Bildern. Das wollte er mir nur sagen, der Rest steht in dem Brief.
Ich bleibe mit dem tutenden Hörer in der Hand am Esstisch sitzen.
Petra fragt schon lange nicht mehr, was los ist. Nachts weckt mich ihr Weinen, ich bin es gewohnt und mache nicht mehr das Licht an. Über dem Fußende schweben die Augen meines Vaters. Auch über dem Postregal schweben sie, ehe die Hände von selbst übernehmen.
Ich verstaue Elsebeths Einkäufe, als ich den Brief auf dem Küchentisch entdecke.
Er ist adressiert an den Maler Mehmet Faruk .
Im Umschlag steckt ein Bild von Ulrich. Er steht vor einem geschlossenen Metzgerladen. Er lächelt, streckt die Arme aus und zeigt stolz auf das leere Fenster. Er schreibt, dass er endlich den perfekten Ort gefunden habe. Die Galerie soll »Fleisch« heißen und mit meiner Ausstellung eröffnet werden.
Hinter dem Brief stecken ein paar D-Mark-Scheine. Er bedankt sich für die Anleihe und hofft, dass die Zinsen die Zugfahrkarte decken.
I ch lege die Waren auf die Theke.
Farbtuben. Eine Staffelei. Pinsel in unterschiedlichen Größen.
Der Verkäufer fragt, ob ich Hilfe brauche, ich schüttle den Kopf und suche weiter, kümmere mich nicht um den Preis.
Ich kaufe so viel Leinwand, wie ich tragen kann, staple alle alten Bilder auf dem Gang übereinander.
Die Staffelei stelle ich mitten ins Zimmer und spanne eine Leinwand auf. Dann öffne ich die erste Farbtube. Ich male, bis die Sonne
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