Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
hier wie ich«, sagt der Mann vor mir, als wir allein sind. »Sie wissen nicht, wie Ihr Vater war, als er eingeliefert wurde.«
Wir bleiben vor einer Tür mit Nummer stehen.
Der Pfleger sucht den Schlüssel heraus.
»Sie dürfen ihm nichts geben. Kein Feuerzeug, keinen Kugelschreiber. Keine Behälter oder Glasflaschen. Keinen Alkohol und keine verbotenen Rauschmittel«, leiert er herunter, dreht den Schlüssel um und öffnet die Tür. Das einzige Licht im Raum kommt von dem hohen Fenster unter der Decke. Auf dem Bett sitzt ein großer, dürrer Mann mit kurz geschorenem Haar. Er sitzt vornübergebeugt und starrt auf den Boden. Ein unterernährter Soldat, der bei der Wache eingeschlafen ist.
»Sie haben fünf Minuten«, sagt der Pfleger. »Die Tür muss offen bleiben.«
Ich höre seine Schritte, er bleibt in der Nähe stehen.
Der Mann auf dem Bett schaut auf. Seine Augen leuchten im Halbdunkel, sie sind nicht größer als früher, aber sein Gesicht ist schmaler. Er sieht weder froh noch überrascht aus.
Dann steht er auf und nimmt mich fest in die Arme. Ich spüre seine Rippen und rieche den Klinikmief in seiner Kleidung und Haut.
»Ich wusste, du würdest kommen«, sagt er heiser.
Ich ziehe den Stuhl ans Bett und setze mich vor ihn.
»Ich musste lange warten, aber ich wusste, ich würde dich finden.«
»Hast du das Bild in der Zeitung gesehen?«
»Natürlich erkenne ich meinen eigenen Sohn. Egal, welchen Namen er gewählt hat.«
Er kratzt sich zwischen den kurzen Haarstoppeln.
»Tut mir leid, dass ich nicht in die Galerie kommen und deine Bilder betrachten konnte. Aber ich war aus gewissen Gründen verhindert.« Er lächelt blass.
Vielleicht sind es die Schatten unter seinen Augen, aber ich glaube, sie sind feucht.
»Ich hätte dich gern aufwachsen sehen«, sagt er. »Inzwischen glaube ich, dass es nichts Wichtigeres gibt.«
Es klopft drei Mal, der Pfleger steht in der Tür.
Als ich aufstehe, packt mich mein Vater am Handgelenk. Ich bin überrascht, wie schnell er reagiert, und spüre jedes Glied seiner Finger.
»Versprich, dass du wiederkommst«, sagt er. Ich nicke.
Mein Vater schwingt die langen Beine über die Bettkante und legt sich.
Ich betrachte mein Spiegelbild im Zugfenster.
Ich kann gut lügen, ohne dass meine Stimme zittert.
Aber mein Gesicht lügt nicht.
Ich mochte meine Abmachung mit Petra. Auf dem Hinweg hatte ich fest vor, sie einzuhalten. Ich weiß, dass sie mit einer halben Flasche Cognac auf mich warten wird. Mit Armen und Brüsten und einer deprimierten Katze in der Küche. Aber mein Gesicht lügt nicht, und sie wird mich so lange fragen, bis ich antworte.
Ich steige am Hauptbahnhof aus. Gehe an den Bars vorbei, an Autos, Bussen und Menschen. Die Ampel wird grün. Der Asphalt unter meinen Füßen ist löchrig, und ich will an nichts anderes denken.
Ich lege das Ohr an die Wohnungstür, um sicherzugehen, dass Elsebeth nicht in der Küche oder auf dem Flur ist. Es ist still.
Ich liege im Bett, die Hand unter dem Kopf.
Ich will schlafen. Einen tiefen, traumlosen Schlaf. Ich zwinge mich, die Augen zu schließen. Öffne sie wieder und starre an die Decke.
Ich ziehe mich an, gehe hinaus, weiter und weiter.
Innerhalb des Stadtwalls laufe ich im Kreis, bis mir die Beine wehtun, bis meine Füße platt und geschwollen sind. An einem Imbiss kaufe ich einen Hotdog, esse ein paar Bissen und werfe den Rest in einen Mülleimer.
Um kurz vor elf stehe ich vor dem Verteilerzentrum. Ich gehe mit den anderen hinein, suche den Abteilungsleiter und frage, ob er Arbeit für mich hat. Er sieht mich verwundert an, unser Team hat heute frei.
Ich frage, ob sie mich nicht in der heutigen Schicht gebrauchen können.
Der Abteilungsleiter sieht aus, als wäre dies die merkwürdigste Frage, die er je gehört hat.
In dieser Nacht arbeite ich in einem Team, in dem ich niemanden kenne, und niemand weiß, ob ich immer so aussehe wie heute.
Nach einer Stunde übernehmen Augen und Hände die Arbeit, und ich kann die Gedanken abschalten.
Mein neuer Regalpartner schielt über die Schulter, als ich noch eine Kiste vom Band hebe. Ich bin ihm um drei oder vier Kisten voraus.
Petra und ich stehen beim Kaufmann an der Ecke. Ich lege die Hand auf ihre Schulter, sie dreht sich um und sieht mich an.
Die Worte, die ich vorbereitet habe, die ich in der schlaflosen Nacht etliche Male im Kopf formuliert habe, ich bringe sie nicht über die Zunge.
»Kotek mag keinen Lachs«, sage ich.
»Du hast recht.« Sie
Weitere Kostenlose Bücher