Wie Liebe Heilt

Einführung
    I n den vielen Jahren meiner Arbeit mit unzähligen Patienten habe ich eine eindeutige Wahrheit über die Gesundheit des Menschen erkannt: Nur weil Krankheitserreger in den Körper eindringen können, bedeutet das noch lange nicht, dass die Krankheit auch ausbricht.
    Während meiner ärztlichen Laufbahn habe ich immer wieder nach einer Antwort auf die Frage gesucht, warum der eine Körper es schafft, eine Krankheit zu bekämpfen, der andere aber nicht, warum der eine Mensch gesund bleibt, während ein anderer ständig krank ist.
    Dabei habe ich etwas Erstaunliches herausgefunden:
Was der Gesundheit am meisten schadet, ist
Stress und Angst
und
das beste Mittel gegen Stress und Angst ist Liebe
    Auf dieser Erkenntnis, dass ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen Stress und Liebe besteht, baut die Methode der Liebesreaktion auf. Sie erschloss sich mir nicht im medizinischen Umfeld oder durch wissenschaftliche Forschung. Es geschah im Kreißsaal eines Krankenhauses bei der Geburt meiner Nichte Maia.
    Als ich am 6. April 2002 Maias Nabelschnur durchtrennte und sie das erste Mal im Arm hielt, fielen alle meine Ängste, alle meine Probleme und aller Stress von mir ab, und für einen Augenblick schien die Zeit stehenzubleiben. Während Maia heranwuchs, durfte ich dieses Gefühl immer wieder erleben, sobald ich mit ihr zusammen war. Eines Tages, als die inzwischen Dreijährige an meiner Brust ruhte, hob sie ihr Köpfchen, schaute mich an, strich mir zärtlich das Haar aus dem Gesicht und sagte: »Tante Evchen, ich hab dich lieb.« Und da war dieses Gefühl wieder: Alle meine Ängste und Sorgen schmolzen dahin.
    Verwundert fragte ich mich: »Wie kann das sein? Es ist nicht möglich, dass die Zeit stehenbleibt, aber warum empfinde ich das dann so?« Dieses Gefühl hatte ich auch schon bei anderen Gelegenheiten erlebt – wenn ich einen wunderschönen Sonnenuntergang beobachtete, intensiv Musik hörte oder wenn ich mich einem Menschen oder einer Sache tief verbunden fühlte. Immer dann, wenn ich mich in einem Zustand ehrfürchtiger Ergriffenheit befand. Mir wurde klar, dass wir in Augenblicken wie diesen dem Fluss des Lebens verbunden sind und sich vor unseren Augen und Herzen die Tore zu unendlichen Möglichkeiten öffnen. Es ist nicht die Zeit, die stehenbleibt, sondern wir sind es, die innehalten.
    Als ärztliche Direktorin des Dr. Herbert Benson’s Mind/Body Medical Institute in Harvard, Massachusetts, das sich auf ganzheitliche Medizin spezialisiert hat, die von dem untrennbaren Zusammenhang zwischen Geist, Seele und Körper ausgeht, habe ich häufig die heilende Kraft der »Entspannungsreaktion« beobachten können. Dieser Begriff bezeichnet eine Kette von biochemischen Reaktionen, die im Körper ablaufen, wenn man sich im Zustand tiefer Entspannung befindet, wie man ihn vor allem durch Meditation, Tai-Chi, Qi-Gong oder ähnliche Techniken erreichen kann. Ich weiß sehr gut, welch große Rolle die Entspannungsreaktion spielt, wenn es darum geht, Patienten dabei zu helfen, besser mit Stress umzugehen, physisches und psychisches Wohlbefinden zu erlangen und die Zuversicht zu entwickeln, dass sie sich dieses Wohlbefinden auch in der Zukunft bewahren können. Die wissenschaftliche Forschung der letzten Jahre hat das bestätigt. Eine regelmäßige Anwendung der Entspannungsreaktion wirkt blutdrucksenkend, reduziert das Auftreten von Migräne, verlangsamt den Herzschlag und baut die Muskelanspannung sowie andere Stresssymptome ab. Mit der Entspannungsreaktion lässt sich also die Gesundheit verbessern.
    In diesem speziellen Augenblick mit Maia wurde mir klar, dass ein kurzer Moment tief empfundener Liebe denselben positiven Effekt auf meinen Körper hat wie eine lange Meditationssitzung. Es schien, als ob das Empfinden von Liebe eine ähnlich positive biochemische Reaktion in Gang setzen kann wie die Entspannungsreaktion. Es ist nicht erforderlich, zwanzig Minuten und länger allein in tiefer Kontemplation zu verbringen, denn Liebe kann das Gleiche in nur wenigen Sekunden bewirken – und zudem verlässlicher.
    Die nächsten drei Jahre war ich auf der Suche nach wissenschaftlichen Studien, die meine Erkenntnis stützten, und fand tatsächlich den Beweis dafür: Wenn man Liebe erfährt – und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Liebe zu Mitmenschen, die Liebe zu sich selbst, die Liebe zu etwas Spirituellem oder etwas, das größer ist als man selbst, handelt –, dann hat das eine heilende Wirkung