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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Erzählen ordinärer Witze absieht, ist dies das erste Mal, dass man Ursache für das Erröten einer Frau ist. Man schluckt.
     
    Merke: Wenn man weiß, dass sie interessiert ist, und sie weiß, dass man interessiert ist, und man weiß, dass sie weiß, dass man weiß, und sie weiß, dass man weiß, dass sie weiß, senken beide den Blick.
     
    Ehe Laura Verdacht schöpft, sollte man ein Stück beiseite treten und den in diesem Moment schwierigen Versuch unternehmen, eine Weinflasche zu entkorken. Wenn dann einer von Walters Sozialistenfreunden Conny in ein Gespräch zieht, atmet man freier, fühlt jedoch zugleich einen Stich.
    Wenn man glaubt, dass Laura nicht Lunte gerochen hat, unterläuft einem der kapitalste Fehler, den man begehen kann: Man unterschätzt die Beobachtungsgabe einer Frau.
     
    Nach dem Essen sitzt man da und lauscht mal dieser, mal jener Unterhaltung. Laura erörtert mit Mirko die korrekte Zubereitung von Chili und tut, als sei niemand sonst vorhanden. Wenn man sie ansieht, beginnt sie zu lächeln und zwinkert einem zu, ein Verhalten, das einem rätselhaft bleibt. Inge diskutiert mit Walter die Bedeutung der mächtigen Stirn ihres neuen Freundes. Sie hat eine Theorie, auf die man nicht neugierig ist. Leo und Hilde haben sich mit einem von Walters Freunden in die Ecke zurückgezogen. Man fragt sich, was da abläuft.
    – Wieso haben wir uns eigentlich nicht mehr getroffen?, fragt Conny halblaut.
    – Das habe ich mich heute auch mehrmals gefragt.
    – Was ist mit deiner Freundin los?
    – Auch das habe ich mich heute schon mehrmals gefragt.
    Man sagt es schärfer als beabsichtigt. Man hat ein paar Gläser getrunken.
    Wenn das Gespräch beendet scheint, schaut man Conny in die Augen. Dreht das Glas in der Hand. Zwinkert. Seufzt. Man spürt Hitze. Da man keine Ahnung hat, wo diese Sache hinführensoll, fühlt man sich wie jemand, der mit seiner Geliebten ein Picknick in einem Wald macht, in dem ein Heckenschütze herumschleicht.
    – Wie lange seid ihr zusammen?, raunt Conny und blinzelt nach links.
    – Knapp zwei Jahre.
    – Das merkt man.
    Wein hat je nach genossener Menge die negative wie positive Eigenschaft, Hemmungen zu nehmen. Tatsächlich hat man sich schon oft gefragt, wer man ist: der, der betrunken dies und jenes sagt und denkt und tut und über den Tod seiner Urgroßtante weint, oder der andere, der um einiges zurückhaltender ist und dies und jenes selten denkt, noch seltener sagt und schon gar nicht tut, am allerwenigsten aber öffentlich über den Tod seiner Verwandten weint.
    Einiges spricht dafür, dass man nur in berauschtem Zustand ist, was man wirklich ist. Nur der Rausch legt Verborgenes frei. Aber hierbei handelt es sich um eine nutzlose Erkenntnis, da es außer Frage steht, dass man nicht von morgens bis abends betrunken sein kann, es sei denn, man wäre Politiker, Journalist oder Taxiunternehmer.
    Wenn einem der Wein die Hemmungen nimmt, erkundigt man sich nach Connys Privatleben. Man erfährt, dass sie seit einem Jahr keinen Freund mehr hat. Man zieht die Brauen hoch, atmet tief aus und stöhnt.
    Was ist da zu machen, was ist da zu tun, Laura plaudert mit Mirko, der Kopf rattert, man ist betrunken.
    Wenn man sich die ganze Zeit über gewundert hat, wieso das Gespräch zwischen Hilde, Leo und einem von Walters Freunden immer leiser geführt wird, bekommt man aufs Deutlichste Aufklärung, als sich die drei verabschieden und gemeinsam verschwinden.
    – Wer waren die?, fragt Walter.
    – Freunde. Er hat ein Ledergeschäft. Sie führt ihm die Bücher.
    – Und was machen sie jetzt mit Ewald?
    Wenn man Rotwein im Mund hat, als einen Walter so ratlos anblickt, als könne er nicht bis drei zählen, muss man husten. Walter drischt einem auf den Rücken.
    Als man sich beruhigt hat, erklärt man, schlafen gehen zu wollen. Es sei elf, man habe am nächsten Tag schon zu Mittag Schichtbeginn. Mirko und Laura protestieren nur schwach. Sie sind in eine Diskussion verstrickt. Walter erhebt am lautesten Einspruch. Er ist schon sehr gerührt, wischt sich die Tränen ab, stammelt etwas von der guten Freundschaft, die sich entwickelt habe, man solle noch ein Weilchen bleiben. Man schüttelt den Kopf.
    Laura sagt, sie wolle nicht stören und werde zu Hause schlafen. Man nickt ihr zu. Für einen Moment wünscht man sich, ihr mögen durch Voodoo oder anderen bösen Zauber die fürchterlichsten Dinge zustoßen.
    Von den anderen verabschiedet man sich durch Winken. Man sollte sich lieber nicht

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