Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Polen. Sie zieht sich die Schuhe aus und verlangt Kaffee.
Man gibt sich Mühe. Redet ihr zu. Heckt alles Mögliche aus, um ihre Adresse herauszubekommen. Endlich sagt der Kleine den Namen seines Vaters. Die Zentrale findet seine Nummer heraus. Man ruft ihn an. Er gibt einem die Adresse. Man bringt die Frau und den Jungen dorthin und wartet, bis er die beiden am Wagen abholt. Die Alte dreht sich noch einmal um und sagt:
– Sie sollten Ihre Frau verlassen, Herr Panenka.
Wenn eine verwirrte alte Frau sich noch einmal umdreht und einem einen guten Ratschlag gibt, hat das für sich betrachtet noch nicht viel zu bedeuten. Wenn man aber so abergläubisch ist, dass man auf Gemüsemärkten sorgfältigste strategische Planung aufbietet, um bettelnden Zigeunerinnen auszuweichen, die einen verhexen könnten, nimmt man eine derartige Aufforderung nicht mit Gleichmut hin. Selbst wenn man mit Laura nie vor den Altar getreten und im eigenen Personalausweis kein Herr Panenka verzeichnet ist.
Tage vergehen, Wochen. Soll man Laura verlassen?
Die Erbschaftsstreitigkeiten erreichen einen Höhepunkt. Einige Familienmitglieder haben es geschafft, sich über diese Frage so zu zerstreiten, dass Rechtsanwälte und Gericht nicht mehr wegen des Testaments, sondern wegen Beleidigungen und Schlimmerem bemüht werden. Bei einem Besuch in der Tankelschen Wohnung ist einem eine Sachverhaltsdarstellung in die Hände gefallen, in der von blöden Hammeln, Rindviechern, Erbschleicherei und gefährlicher Drohung die Rede ist.
All diese Streitereien, all dieser Hass, all diese Kämpfe! Als ein zweiundachtzigprozentiger Mitläufer mag man das nicht, man wünscht sich Frieden und Harmonie. Und deshalb bleibt man bei Laura und meldet sich bei Conny nicht mehr.
Wenn man auch von den Tankels kein Geld mehr bekommt, weil man ja selbst welches verdiene, ist der Samstag nicht mehr heilig. Die Kochstunden in der Wohngemeinschaft sind Geschichte. Freunde verschwinden, alles läuft auseinander.
Als Taxifahrer hat man viel Zeit zu lesen. Wenn man zwölf Stunden im Taxi sitzt, ergibt dies auch an guten Tagen nicht mehr als vier Stunden echte Arbeitszeit, also Zeit, in der man Personen oder Waren befördert. Man transportiert nämlich nicht nur Menschen. Manchmal hat man ein Paket im Kofferraum, manchmal ein Fahrrad, eine halbe Sau, zuweilen gilt es auch Nieren von A nach B zu bringen, wobei meist A zehn Meter von einem schrottreifen Motorrad entfernt und B ein Krankenhaus ist. Einmal muss man einen Kerl auf Raten ins Spital bringen. Nachdem man die Nieren abgeliefert hat, ist gerade die Leber fertig, dann darf man mit dem Herz noch ein drittes Mal fahren.
Acht Stunden am Tag kann man lesen, wonach einem der Sinn steht. Auch wenn man diese Zeit nicht durchgehend für Lektüre nutzt, erschließt man sich doch einen weiteren Horizont, bildet sich Meinungen. Man denkt nach, grübelt, überlegt, was im Leben sinnvoll ist. Es ist nicht verwunderlich, dass Taxifahrer zu den gebildetsten Menschen gehören. Man liest und lernt und entwickelt sich.
Merke: Wenn man viel liest, wundert man sich, was man früher für Blödsinn geglaubt hat.
Im Dezember rufen sich die Leute häufiger ein Taxi. Die Zeitungen schreiben von einem Jahrhundertwinter. Oft wird man von den Wartenden mit Jubelrufen begrüßt. Inzwischen ist man so routiniert, dass man genau weiß, wann man sich auf welchen Standplatz stellen muss. Oder wann eine Flaute bevorsteht und somit die Gelegenheit günstig ist, eine Pause zu machen. Um zu essen oder sich nur einen Kaffee zur Stärkung zu genehmigen, etwa gemeinsam mit Mirko, wenn der die gleiche Schicht hat.
Weihnachten ist eine außergewöhnliche Zeit. Manche Leute behaupten, es habe mit der Wintersonnenwende zu tun. Arbeitet man am 22. und 23. Dezember, trifft man eine unglaublich hohe Anzahl heulender Frauen und Männer. Die ganze Stadt ist hysterisch. Vielerlei muss man sich anhören. Es ist gar nicht zu fassen, wie viele Frauen ihre Männer betrügen und umgekehrt. Doch wieso solche Dinge in einem Taxi erörtert werden müssen, fragt man sich schon.
Ein Bauer mit abstehenden Ohren schluchzt die gesamte Fahrt hindurch:
Lucy, Lucy, wieso hast du mir das angetan!
Wenn man so etwas hört, überlegt man, ob sich mittlerweile jeder als Figur in einer Fernsehserie sieht.
Ein Geschäftsmann heult:
Ich bin ein Wurm, ich bin ein Stück Mist! Warum habe ich Gerdas Pferd verkauft!
Neben ihm sitzt eine Spanierin oder Argentinierin,
Weitere Kostenlose Bücher