Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
Prozent der Welt (gemessen an der Wirtschaftsleistung) von irgendeiner Form von Finanzkrise betroffen gewesen. In den 50er und 60er Jahren waren es weniger als 20 Prozent. Und die Konsequenzen werden offenbar mit jeder Krise dramatischer. Die jüngste Finanzkrise hat große Teile der Weltwirtschaft an den Rand der Depression gebracht, die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern hochschießen lassen, und es mussten so viele Banken mit Steuergeld gerettet werden, dass selbst im scheinbar robusten Deutschland die Staatsschuld stieg.
Alles nur eine Frage mangelnder Moral, von ein bisschen Transparenz oder Notenbankerirrtum? Unwahrscheinlich. Der Verdacht drängt sich immer stärker auf, dass das Chaos sogar in der Eigenlogik globalisierter Finanzmärkte steckt. Mit jedem Jahr reifender Erkenntnis werden die Krisendiagnosen seither radikaler. Und die Kritik kommt nicht von denen, die schon immer den Untergang des Abendlands, des Kapitalismus oder des Geldsystems prophezeiten. Sie kommt zunehmend von eher orthodoxen Professoren wie Thomas Straubhaar, dem Chef des Hamburger WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Oder Dennis Snower vom einst streng monetaristischen Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Da beschäftigen sich renommierte Ökonomen wie Thomas Philippon mit der Frage, wieviel Banker zuviel verdienen. Früher tabu. Da diagnostizieren Finanzexperten wie Dirk Bezemer, wie sehr sich die Banken mit gegenseitigen Krediten in die Kreditblase gesteigert haben. Und da provozieren Wissenschaftler wie Dani Rodrick mit der These, dass die Finanzglobalisierung gar keinen Beitrag zum Aufstieg der Schwellenländer geleistet hat – anders als die sonstige Zunft lange predigte. Plötzlich fordern ehemalige IWF-Chefvolkswirte wie Simon Johnson, die Banken zu zerschlagen. Ähnlich radikal gibt sich der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker.
Brauchen wir nach drei vermeintlich verlorenen Jahrzehnten die große Wende? Den Abschied vom Traum herrlich liberaler Finanzmärkte? Von falscher Ehrfurcht vor weisen Bankbeschäftigten und edlen Teppichen in der Empfangshalle? Wenn das Kriseln kein Ausreißer, sondern die Regel zu sein scheint? Und wenn die Erwartungen,die an die Finanzglobalisierung geknüpft wurden, womöglich chronisch verfehlt werden?
Darum soll es in diesem Buch gehen: weniger um die Moralfrage oder die nachvollziehbare Wut gegen manchen Zocker als vielmehr darum, ob Finanzmärkte nach menschlichem Ermessen überhaupt und grundsätzlich wohlstandsfördernd funktionieren können, wie es ihre Vordenker meinten. Selbst wenn statt raffgieriger Endzwanziger, sagen wir, der Papst das Geld managen würde.
Nach so vielen Krisen gilt es zu klären, ob dahinter nicht ganz menschliche Reflexe und Schwächen stecken, die zu schweren Systemfehlern führen. Sind die Händler am Markt womöglich überfordert mit dem Datenfluss? Was erklären könnte, warum Investoren im Krisenfall selbst danach hecheln, von der Notenbank aus dem eigenen Desaster gerettet zu werden. Gibt es vielleicht sogar eine inhärente Logik, die in jedem Boom und in jeder Krise dazu führt, dass ein Jeder für sich selbst ganz rational der Herde hinterherläuft – genau das aber führt in der Masse dazu, dass freie Finanzmärkte zwischen Euphorie und Depression irren, und dass bei zunehmenden Geldvolumen so immer katastrophalere Kollateralschäden entstehen.
Nach drei Jahrzehnten Finanzglobalisierung scheint die Frage legitim, welchen gesellschaftlichen Mehrwert das Bankentreiben bringt, all die Derivate, Hedgefonds und das Hin- und Herschieben von virtuellem Geld, von Öl oder Devisen in Mikrosekunden – und ob das den Schaden aufwiegt, der durch Blasen und Krisen entsteht, durch steigende Verschuldung und wachsendes Vermögensgefälle. Wenn Banken am Ende mit Hundertmilliarden Steuergeldern gerettet werden müssen.
Oder ginge es uns nicht allen besser, wenn wir die Finanzwelt wieder dahin brächten, wo sie einmal war, bevor Ronald Reagan und Margaret Thatcher in den 80er Jahren die große Freiheit lostraten?
Bräuchten wir nach dem großen Atomausstieg nicht einen noch spektakuläreren Bankenausstieg – und mit der Energiewende eine große Geldwende? Vielleicht ließen sich jene Mittel, die derzeit noch für das Hin- und Herbewegen virtueller Geldmassen gebunden sind, für sinnvollere Dinge einsetzen. Es hat schon etwas Absurdes, zuzusehen, wie die besten Ingenieursabsolventen großer US-Eliteunisin die Finanzbranche gehen, so wie das in den vergangenen zwei
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