Wiederkehr des Bosen
Kapitel 1 - EINE VERRÜCKTE E-MAIL
Camryn Barnes saß am Fenster. Sie war mit ihren Hausaufgaben beschäftigt - ein paar Kapitel eines Buches waren durchzulesen und schriftlich zusammenzufassen. Es war Nachmittag, kurz nach drei, und über die Winterlandschaft draußen senkte sich bereits die Dämmerung. Gereizt blickte sie auf.
»Würdest du das bitte endlich lassen? Du bringst mich noch um den Verstand!«, rief sie ihrer Zwillingsschwester zu.
»Wusste nicht, dass du einen hast«, gab Alex kurz angebunden zurück. Sie hackte auf der Tastatur des Computers herum, der Cam gehörte und den sie mitbenutzen durfte - in dem Schlafzimmer, das Cam gehörte und das sie mit ihr teilte, und sie saß auf einem ergonomisch korrekten Computerstuhl, der ebenfalls Cam gehörte und den sie ebenfalls mitbenutzen durfte. Und sie versuchte sich auf eine schriftliche Hausarbeit zu konzentrieren, die sie am liebsten Cam allein überlassen hätte. Eigentlich war es nicht besonders schwierig, denn auch sie musste nur den Inhalt einiger Kapitel eines Buches kurz zusammenfassen. Trotzdem fiel es Alex schwer, sich zu konzentrieren.
»Und wodurch störe ich deine weltbewegenden Gedanken?«, fragte sie beiläufig.
»Durch dein ewiges Montana-Gelaber«, gab Cam giftig zurück. Sie rückte die Haarspange zurecht, die ihre rotbraune Mähne in einem Pferdeschwanz zusammenhielt. »Wie bitte?« Alex war beleidigt. Sie wirbelte auf dem Computerstuhl herum und musterte ihren eineiigen Zwilling herausfordernd - ihre Schwester die ihr in so vielem zum Verwechseln ähnelte, wie alle sagten. Cam trug ein trendy rosa Sweatshirt und hautenge Leggins, Alex hingegen hatte sich achtlos ein ungebügeltes Flanellhemd übergeworfen und ihre ausgewaschenen Denims stammten aus der Steinzeit, oder jedenfalls aus ihrem früheren Leben in der tiefsten Provinz - in Crow Creek, Montana. Cam präsentierte wie üblich ihren Edel-Look - sie trug topmodische Designerkleidung, während Alex ihre »Höhlenkleidung« angelegt hatte, wie Cam die etwas abgedrehten und nicht eben teuren Klamotten nannte. Was war daran »identisch«?, rätselte Alex. Jeder konnte doch schon beim ersten Blick sehen, dass sie total verschieden waren. Und um den Unterschied noch zu betonen, hatte Alex vor ein paar Wochen ihr kurz geschnittenes Stachelhaar platinblond gefärbt - mit hellgrünen Strähnen darin.
»Wir fahren in den Winterferien nicht nach Montana!«, erklärte Cam fest. »Wir haben schon andere Pläne.«
»Hey, raus hier!«, fauchte Alex wütend. »Verflucht sei der Tag, an dem ich dir beigebracht habe, meine Gedanken zu lesen! Und ich hab auch nichts von Montana gelabert. Ich hab nur über dieses Ekel Ike nachgedacht...«
Isaac Fielding, auch Ike genannt, war der Freak, den Alex' Mutter Sara geheiratet hatte, ungefähr zu der Zeit, als diese Alex adoptierte. Er war einer der beiden Giftstoffe, die zu Alex' früherem Leben mit Sara gehörten: Zigaretten hatten Sara ums Leben gebracht, und Ike hatte sie um das wenige Geld betrogen, das sie verdiente. Er war verschwunden, als Alex noch in die Grundschule ging, hatte Saras kümmerliche Ersparnisse mitlaufen lassen und ihnen einen Berg Schulden aufgebürdet, den Sara niemals mehr abtragen konnte.
Und jetzt war er also wieder aufgetaucht. Ausgerechnet jetzt, mehrere Monate nach Saras Tod, wo sie sich endlich damit einverstanden erklärt hatte, dass David und Emily Barnes die Vormundschaft über sie, Alex, übernahmen - das verlässliche Paar, das Cam großgezogen hatte. Eigentlich mussten Cams Adoptiveltern nur noch ein bisschen Papierkram hinter sich bringen, dann würden sie Alexandra Fieldings Vormundschaft übernehmen können.
Dave war Rechtsanwalt, Emily arbeitete als Innenarchitektin. Sie wohnten in einem wohlhabenden Viertel in dem herzig-süßen Örtchen Marble Bay, Massachusetts. Sie hatten schon alle Papiere eingereicht, die vorgeschrieben waren, um die Vormundschaft über Alex übernehmen zu können. Eigentlich stand der Sache praktisch nichts mehr im Weg - außer Ike, der nun plötzlich Probleme machte.
Ike hatte natürlich Kohle gerochen, vom Geldgeruch wurde er angelockt wie die Ratte vom Käse. Jetzt kam er aus seinem Loch gekrochen und wollte auch ein Stück davon haben. Und so hatte Mr Isaac Fieldings Rechtsanwalt einen Brief geschrieben und im Namen seines Klienten Einspruch gegen den Antrag auf Vormundschaft eingelegt, den das Ehepaar Barnes gestellt hatte. Mr Fielding behauptete, als Alex' Adoptivvater sei
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