Wiedersehen in den Highlands - Roman
1
Die meisten Mädchen in Hayes betrachteten Tom Brodie als einen lohnenswerten Fang, auch wenn einige wohlerzogene junge Damen entschieden erklärten, er sei für ihren Geschmack viel zu derb, und seine zuckersüßen Komplimente seien regelrecht vulgär. Auf solch üble Nachrede gab Betsy McBride gar nichts; sie fühlte sich genauso berechtigt wie jedes andere Mädchen in Ayrshire, eine Schwärmerei für den Farmerssohn zu hegen.
Was ihr an Tom Brodie so gut gefiel, das war nicht seine Wortgewandtheit, sondern wie er in einer Mischung aus Schüchternheit und Arroganz umherstolzierte; und sein dunkler Haarschopf, der von einem blauen Band zusammengehalten wurde und unter seiner Mütze hervorschaute, wenn er am Sonntag zur Kirche schlenderte. Betsy hatte jedoch noch kein Wort mit ihm gewechselt bis zu dem Tag, als Mr. Rankine sie zu Matthew Brodies Farm hochschickte, um dem alten Mann aus seinen Nöten zu helfen.
Betsy war von Natur aus nicht schüchtern, und es mangelte ihr nicht an Erfahrung. Noch bevor sie fünfzehn gewesen war, hatte Mr. Johnny Rankine seine Hand unter ihre Röcke geschoben, und als sie ein bisschen älter wurde, weit mehr als nur seine Hand. Falls ihre Mutter ahnte, was der alte Lustmolch im Schilde führte, dann behielt sie es für sich, denn Mr. Rankine war ein Mann von Einfluss und verschaffte ihnen Arbeit. Außerdem schlüpfte er so schnell wie ein Spatz in Betsy hinein und wieder heraus und steckte ihr einen Kuss und ein paar braune Pennys zu, und trotz seines dicken Bauches und seiner geröteten Wangen hatte sie ihn durchaus gern.
Als Mr. Rankine sie wissen ließ, er hätte sie für einen Teil des Winters als Magd an die Brodies ausgeliehen, beklagte sie sich nicht. Sie lief nach Hause, um ihre Habseligkeiten zu packen und ihrer Mutter und ihrem Vater zu sagen, dass sie endlich ihr Elternhaus verlassen würde.
Mitten am Nachmittag war sie auf der alten Zollstraße unterwegs zu dem Feldweg, der nach Hawkshill hochführte. Sie hatte bis dahin noch nie einen Fuß auf den Hügelweg gesetzt, obwohl die Farm des alten Mr. Brodie nur eine Meile entfernt von dem Haus lag, in dem sie geboren und aufgewachsen war, und nicht viel weiter von Mr. Rankines Hof, in dessen Dienste sie als Tagesmagd getreten war, sobald sie alt genug gewesen war, einen Milcheimer zu schleppen.
Die Abenddämmerung senkte sich bereits allmählich. Schwarze Wolken kündigten mehr Regen an, und der Feldweg war schlammig. Mr. Brodies Gerätschaften lagen hinter ansteigendem Gelände versteckt, und die Farmgebäude duckten sich in eine Senke nahe einem stehenden Hügelsee. Im trüben Nachmittagslicht wirkte der Ort düster und abgeschieden. Bis weit in den April hinein hatte Schnee gelegen, und Gewitter im August hatten die Ernte nahezu vernichtet. Eine schlechte Aussaat und Missernten hatten schon so manchen Pachtfarmer in Ayrshire in den Ruin getrieben, denn die Grundbesitzer kannten keine Gnade, wenn es darum ging, die Pacht einzutreiben. Betsy fragte sich, ob das schlechte Wetter der Grund für die Nöte des alten Mr. Brodie war, und sie erinnerte sich an den Klatsch auf dem Markt, er hätte eine Vorladung wegen Schulden erhalten.
Vor drei Jahren hatten ihre Brüder ein Kalb von Mr. Brodie gekauft, und im Frühjahr 1780 war ihre Schwester Effie hingeschickt worden, um ein kleines Paket mit Stoff zu überbringen, den ihr Vater an seinem Handwebstuhl gewebt hatte. Effie war auf der Stelle bezahlt worden und hatte von der Dame des Hauses eine Schale warme Milch bekommen, und der alte Mr. Brodie selbst hatte ihr den Kopf getätschelt. Er hatte sie gefragt, ob sie ihre Bibel studiert habe, eine Frage, die zu beantworten Effie zu schüchtern oder zu einfältig gewesen war.
Ich hätte ihm forsch genug geantwortet, dachte Betsy. Ich kann lesen und ein bisschen schreiben und einen Psalm genauso laut singen wie jeder von Mr. Brodies Brut, die in der Kirche alle, bis auf Tom, mit eingezogenen Schultern, eingeschüchtert und griesgrämig dasaßen, als hätten sie vor der Missbilligung ihres Vaters mehr Angst als vor der Verdammnis, mit der der Prediger drohte.
Betsy war noch immer ein gutes Stück entfernt von der Hügelkuppe, als die ersten Regentropfen auf ihre Wangen klatschten. Hastig raffte sie die Röcke und erreichte den Hof in dem Augenblick, als die ersten schweren Regengüsse über den Damm peitschten.
Sie hielt inne, nicht sicher, welche Richtung sie nehmen sollte. Dann rief eine Stimme: »Komm hier herein, du dummes
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