Die Plantage: Roman (German Edition)
Nacht. Sterne. Schmerzen. Ich bin verwundet … ich sterbe. Zwischen Gefallenen lag er auf dem nächtlichen Schlachtfeld, ein geschundener Körper mit zahllosen Verletzungen. Das Atmen fiel ihm schwer, jede Bewegung löste Qualen aus. Er verlor immer wieder das Bewusstsein. Aber der schmale Grat, der das Leben vom Tode trennt, war noch nicht überschritten.
Endlich erwachte er aus seiner totengleichen Erstarrung, und als gälte es, noch Schlimmerem als den Schmerzen zu entkommen, zog er sich, auf die Unterarme gestützt, in mühseligen Etappen einen Hang hinunter. Ein- oder zweimal berührte er in der Dunkelheit einen leblosen Körper, während er zur Talsenke kroch, angetrieben von der dumpfen Hoffnung, am Fuß des Abhangs an Wasser zu kommen.
Am anderen Morgen fand ihn sein Pferd am Rand eines schlammigen Rinnsals. Es blies ihm den warmen Tieratem ins Gesicht und vermittelte ihm die einfachste Form von Wirklichkeit: am Leben zu sein.
Irgendwie war es ihm gelungen, in den Sattel zu kommen. Seither trottete das Pferd dahin, blieb dann und wann stehen, um am Wegrand Gras oder Blätter von herabhängenden Zweigen zu fressen, an einem Bach zu trinken oder auszuruhen. Der Mann hielt sich im Sattel, meist lag er vornübergebeugt auf dem Hals seines Pferdes. Wenn er bei Bewusstsein war, trieber es mit schwachem Schenkeldruck an, damit es in Bewegung blieb und weiter gen Süden ging.
Er hatte keine genaue Vorstellung, wie lange er unterwegs war oder wie weit er gekommen sein mochte. Seit Einbruch der Dämmerung folgte das Pferd einem breiten Flusslauf. Sie mussten das Plantagenland des Lowcountry erreicht haben.
Als er später in der Nacht wieder zu sich kam, war das Pferd stehen geblieben. Ringsum war es still. Er atmete den Staubgeruch trockener Spreu, anscheinend war das Pferd in einen leeren Stall gelaufen. Entkräftet ließ er sich aus dem Sattel gleiten, fiel zu Boden und verlor vor Schmerz fast die Besinnung. Schließlich schaffte er es, zur Stallwand zu kriechen und sich halb sitzend anzulehnen. Mit der unverletzten Linken zog er den Säbel. Den Griff der Waffe fest umschlossen, fielen ihm die Augen zu.
Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, als ihn das Geräusch von Schritten aufschreckte. Dann sah er Licht. Auf den Säbel gestützt, stemmte er sich hoch, dabei jagten von dem gebrochenen Bein grelle Schmerzen durch seinen Körper. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. So stand er im Dunkeln und wartete.
II. Legacy
1.
Kühle Nachtluft wehte durch die Fenstertüren. Ein paar Blätter flogen vom Schreibtisch auf und schwebten kreiselnd zu Boden. Antonia hob sie auf, legte sie zu einem kleinen Stapel zusammen und stellte die Petroleumlampe aus geschliffenem Bleikristall darauf. Sie schraubte den Docht höher und nahm den Brief, den sie gelesen hatte, wieder zur Hand. Auf der Hälfte der Seite hielt sie inne, sah zum Fenster, horchte – nein, da war nichts, nur der nächtliche Gesang der Frösche, der von den Bewässerungsgräben in den Reisfeldern aufstieg und den der Wind herübertrug.
Sie zog das Schultertuch fester und schlang die Enden zu einem Knoten, ehe sie weiterlas. Plötzlich fuhr eine starke Windbö durch den Raum. Die Flamme blakte im Glaszylinder, die Fensterflügel schlugen laut aneinander. Schnell breitete sie die Arme über die Papiere, damit nicht alle vom Schreibtisch geweht wurden. Sie wollte aufstehen und die Fenster schließen, zögerte aber und ließ sich resigniert in den Stuhl zurückfallen. Was machte es für einen Unterschied, ob die Fenster geschlossen waren oder nicht? Der Raum vor ihr lag in Trümmern, die Außenmauer war an der Nordseite niedergebrochen, die hohe Decke mit den eleganten Stukkaturen zur Hälfte eingestürzt. Zwischen den rußgeschwärzten Wänden türmten sich Schutt und verbranntes Gebälk. Was das Feuer nicht zerstört hatte, war seit Monaten Wind und Wetter ausgesetzt.
Sie blickte durch den verwüsteten Saal, in dem vor demKrieg ihre Bibliothek untergebracht gewesen war. Auch wenn der Großteil der Sammlung gerettet werden konnte, waren doch viele wertvolle Bände verbrannt. Ringsum standen noch die Gestelle der Büchertruhen, doch was von der aufwendigen Ausstattung des Raumes übrig war, zerfiel jeden Tag mehr. Die Vertäfelung war weitgehend zerstört, ausgebrannte Wandschränke lagen umgestürzt mit zerbrochenen Scheiben am Boden. Nur der Schreibtisch, ein solides englisches Möbelstück, hatte den Flammen getrotzt. Antonia hatte
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