Wiener Schweigen
den Einsatzwägen zu. Sie rieb sich ihr Handgelenk, das ihr wieder höllisch wehtat. Johanna rief Liebhart an, der eine Dreiviertelstunde später bei ihr eintraf.
Die Strahlen der Fahrzeugschweinwerfer fegten über Johannas Wohnzimmerdecke. Drei Polizeiautos standen mit blendend hellen Einsatzlichtern in einem nahen Acker. Ein Leichenwagen quälte sich die Straße herauf, die Leute machten ihm stumm Platz, und jeder vermied es, den verrenkten, blutüberströmten Körper anzusehen, der nun in einen Metallsarg gelegt wurde. Als er abtransportiert worden war, begannen die Schaulustigen, laut miteinander zu sprechen, befragten sich gegenseitig, während das Bergungsteam den Mercedes am Galgen eines Abschleppautos befestigte und sich gegenseitig Anweisungen zurief.
Rosa hatte noch immer kein Wort gesagt. Der herbeigerufene Arzt konnte außer einem Schock und den Würgemalen an Rosas Hals nichts feststellen und empfahl ausreichend Ruhe. Er ließ ein paar Schlaftabletten für sie da und verabschiedete sich.
Zwei Polizisten standen unschlüssig im Zimmer herum, mit stockender Stimme begann Rosa ihnen zu erzählen, was vorgefallen war. Sie nahmen das Protokoll ohne Zwischenfragen auf, danach gingen sie mit Johanna zu Rosas Haus und sicherten dort die Spuren. Johanna raffte ein paar Kleidungsstücke für Rosa zusammen, füllte den Fressnapf der Katze, die nicht aufzufinden war, und schloss das Haus ab. Es verstand sich von selbst, dass Rosa heute bei ihr bleiben würde.
Als sie wieder ihr Haus betrat, fand sie Liebhart hilflos in einem Stuhl neben dem Sofa sitzend, auf dem Rosa mit dem Gesicht zur Lehne lag. Sie hatte die Augen geschlossen. Johanna zog Liebhart hoch und schob ihn in die Küche, wo sie ihm und sich einen Cognac einschenkte.
»Warum hat sie mir nichts gesagt? Warum muss sie immer ihren verdammten Sturschädel durchsetzen?« Liebhart strich sich mit der Hand über die Augen.
»Es konnte ja wirklich keiner wissen, dass Mühlböck so gefährlich ist«, meinte Johanna, doch ihrer Stimme war anzuhören, dass sie sich Vorwürfe machte.
Es war stockdunkel, als die letzten Einsatzwägen die Straße neben Johannas Haus hinunter langsam ins Tal fuhren. Johanna und Liebhart konnten das Wrack des Autos am Abschleppwagen sehen, es war kein gerades Stück Blech mehr daran.
Liebhart machte es sich in einem Fauteuil neben der Couch bequem. Johanna wickelte sich in eine Decke und setzte sich in einen Sessel direkt am Fenster. Ab und zu stand einer der beiden auf, um nach der schlafenden Rosa zu sehen.
Als die Sonne schon weit am Himmel stand, erwachte Rosa. Sie setzte sich auf und strich sich ihre wirren Haare aus dem Gesicht. Die Erde auf dem Arbeitsgewand, in dem sie geschlafen hatte, war durch das Badewasser und ihren Schweiß gestern Abend feucht geworden und in der Nacht an ihrem Leib getrocknet. Als sie aufstand, sah sie zu, wie kleine Bröckchen auf den Teppich rieselten. Liebhart und Johanna blickten auf, als sie die Küche betrat.
»Du hättest mir erzählen sollen, was du bei der Bakk Pharm AG herausgefunden hast!«, begann Liebhart, als Rosa sich zu ihnen an den Tisch setzte.
Sie nickte stumm. Johanna legte ihr einen Arm um die Schultern.
»Ich weiß, es tut mir leid. Pauls Tod war kein Unfall. Warum hätte Mühlböck sonst versucht, mich zu töten. Er war in meinem Haus und wusste, wo der Lichtschalter für den Keller ist. Ich habe das als nicht bedeutend abgetan. Das war ein großer Fehler, kein Fremder kann das wissen.«
Liebhart nickte. »Ich habe eine offizielle Anfrage an die Bakk Pharm AG gestellt. Sie haben vor einer Stunde angerufen und alle Vorwürfe von sich gewiesen. Es tue ihnen leid, was dir widerfahren ist, sie stellen das aber in keinerlei Zusammenhang mit ihrer Firma. Herr Mühlböck habe vollkommen eigenständig gehandelt, sie distanzieren sich von seinem Verhalten, werden aber trotzdem eine interne Untersuchung einleiten.«
Sie winkte müde ab. »Na klar tun sie das.«
Liebhart und Johanna beschlossen, gemeinsam in Rosas Haus zu gehen, um aufzuräumen. Rosa fühlte sich momentan nicht in der Lage, dorthin zurückzukehren. Sie wollte bei Johanna duschen und danach mit der Untersuchung des Kirchenschatzes in Wien beginnen. Liebhart protestierte, doch sie fragte nur, was sie denn seiner Meinung nach sonst tun solle? Zu Hause sitzen und sich den gestrigen Kampf wie in Endlosschleife immer wieder vorstellen? Liebhart sah ein, dass es für sie besser wäre mitzukommen.
Als sie in
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