Wiener Schweigen
glotzen. Rosa schubste ihn ins Haus. Mit ihm ergossen sich seine Labradorwelpen wie eine weiche, wogende Welle in ihr Wohnzimmer und begannen sofort, überall herumzuschnüffeln.
Rosa wandte sich zu Daniel Mühlböck. »Es tut mir leid, Sie müssen jetzt gehen. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich noch arbeiten muss.« Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und schob ihn zur Eingangstür.
Er drehte sich noch einmal um. »Wir holen das nach?«
Rosa antwortete unbefangen: »Ja, sicher. Das machen wir.«
»Diesmal melde ich mich.«
»Wunderbar, ich freue mich.« Schnell schloss sie die Tür.
Als Ludwig ansetzte, etwas zu sagen, brachte sie ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Sie lauschte an der Eingangstür, bis sie hörte, wie das Auto startete und Mühlböck davonfuhr. Dann sah sie Ludwig nachdenklich an und meinte: »Er ist zur Kellertür gegangen, hat sie aufgemacht und das Licht angedreht, als wäre er hier zu Hause! Findest du das komisch?«
»Nein, wenn man einen Lichtschalter nicht am üblichen Platz neben dem Türrahmen findet, tastet man halt den Rahmen ab.«
»Hat Mühlböck auf dich irgendwie eigenartig gewirkt?«, wollte Rosa wissen.
»Ihr beide habt auf mich wie zwei Autos bei der Paarung gewirkt, ich habe überhaupt nichts verstanden. Was ich dich aber eigentlich fragen wollte: Hättest du vielleicht zehn Kilo frisches Rindsfaschiertes für mich?«
Rosa sah ihn an, als ob er verrückt geworden wäre.
»Ich habe vergessen, für die Hunde Futter zu kaufen«, erklärte er zögerlich, als er Rosas strengen Blick sah. »Und jetzt ist Wochenende, und die Geschäfte haben geschlossen, und da dachte ich …« Seine Stimme versagte.
Als Rosa Ludwig davon überzeugt hatte, dass kein Mensch einfach so zehn Kilo frisches Rindsfaschiertes zu Hause habe, und sie ihm den gesamten Inhalt ihrer Tiefkühltruhe mitgegeben hatte, stieg sie in den ersten Stock hinauf und ließ sich ein Bad ein. Das Lavendelöl im Badewasser tat seine Wirkung. Rosa spürte, wie sich ihre Schultern entspannten. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, in einem klaren Bergsee zu schwimmen. Kein Laut drang über die spiegelglatte Wasseroberfläche zu ihr. Rosa tauchte mit dem Kopf ins Badewasser und hielt so lange die Luft an, bis sie nicht mehr konnte.
Als sie auftauchte, stand er über ihr.
Rosa war derartig erstaunt, dass sie sich gar nicht zur Wehr setzte, als er sie wieder unter Wasser drückte. Erst als ihr die Luft auszugehen drohte, begann sie, wild um sich zu schlagen. Ihr Herz raste. Sie bekam den locker sitzenden Haltegriff zu fassen und riss mit aller Kraft daran. Es gelang ihr, den Kopf für einen Moment aus dem Wasser zu heben und gierig Luft einzusaugen. Dann spürte sie wieder die kräftigen Arme um ihre Schultern, die sie unter Wasser drückten, der Griff glitt ihr aus den Händen. Sie stemmte sich mit den Beinen gegen den Wannenboden, bekam den Haltegriff wieder zu fassen und riss erneut daran. Mit einem Ruck löste er sich.
Rosa prügelte blind auf Mühlböck ein. Er war so überrascht, dass er kurz von ihr abließ und zurücktaumelte. Sie stemmte sich hoch, ohne den Haltegriff loszulassen, hustete und sog erneut gierig Luft ein. Während sie aus der Wanne stieg, schlug sie immer weiter auf ihn ein und begann laut zu schreien. Sie befürchtete auszurutschen, gleichzeitig waren ihre Angst und ihre Wut so stark, dass sie nicht aufhörte, ihn zu attackieren.
Mühlböck hatte die Hände über dem Kopf erhoben, und so trafen ihn ihre Schläge nur an den Armen; jedoch so heftig, dass er nach hinten wankte und über den Wäschekorb fiel.
Rosa spürte ein Handtuch unter ihren Füßen, schnell stieg sie drauf, um sie trocken zu bekommen und dadurch mehr Halt zu haben. Falls sie ausrutschten sollte, war das ihr sicheres Ende. Nicht einmal als er am Boden lag, konnte sie aufhören, auf Mühlböck einzudreschen. Bilder der Nacht vor einem Dreivierteljahr, in der sie zusammengeschlagen worden war, tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Sie holte aus und hieb Mühlböck den Haltegriff in die Rippen.
Er jaulte auf und hielt sich die Seite. Rosa fiel das Gesicht des Mörders ein, der Moment, in dem er die Faust hob und ihr, die wehrlos am Boden lag, so hart ins Gesicht schlug, dass ihr die Nase brach.
Sie hob erneut den Haltegriff und schrie: » RAUS … AUS … MEINEM … HAUS … DU … SCHEISSKERL !«
Mühlböck stöhnte vor Schmerz. Sie konnte sehen, wie ihm Blut aus kleinen Schnitten,
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