Wikingerfeuer
stürzte er zu, sondern auf sie. Er schwang das Schwert. Die Klinge war lang, viel länger als ihre. Es gelang ihr, den Hieb abzuwehren. In allen Gliedern spürte sie die Erschütterung, und sie meinte, ihr Kopf müsse zerspringen vor Schmerzen. Dabei schien er sie nur mit der flachen Klinge treffen zu wollen.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Rouwen zu seinem Schwert hechtete. Er musste es im vorherigen Kampf verloren haben. Ich habe viel von dir gelernt, Geliebter, dachte sie. Aber für Yngvarr reicht es nicht .
Nicht einmal für einen Yngvarr, der sie nicht verletzen wollte.
»Rúna, ich will dich«, sagte er. »Und ich werde dich besitzen. Aber du wirst mir nicht meine Pläne zerstören. Notfalls prügele ich dich mit der flachen Klinge durch. Also hör auf, dich einzumischen, damit ich den Kastrierten …«
Ihr lag auf der Zunge, welch ein ekelhafter Wicht er in Wahrheit war, da er Rouwen, der dreimal mehr Mann als er war, so nannte. Lieber starb sie an Rouwens Seite, als zuzulassen, dass Yngvarr ihn vor ihren Augen umbrachte. Mit einem Wutschrei und erhobener Klinge stürzte sie auf ihn zu.
»Rúna!«
»Rúna, tu das nicht!«
In Rouwens Stimme mischte sich eine andere. Die ihres Vaters? Sie hielt inne, was Rouwen Gelegenheit gab, ihre linke Hand zu ergreifen und sie zurückzuziehen. Alle, auch Yngvarr, blickten zum Tor.
Niemand anderer als Baldvin stand dort. Er war mit seinem Schuppenpanzer gerüstet, trug sein Schwert und den Schmuck eines Kriegsherrn. Bei ihm waren Haakon Steinriese, Sverri, Hallvardr und die anderen. Mitten unter ihnen, als gehöre er dazu, befand sich Wulfher von Edinburgh. Haakon hatte ihrem Vater nicht die Treue gebrochen, wie sie vermutet hatte. Er war lediglich die Vorhut gewesen.
»Weg mit den Schwertern«, befahl Baldvin. Seine Stimme klang nicht ganz so kraftvoll wie sonst, doch Rúna hoffte, dass nur sie allein es bemerkte. Rouwen schob als Erster sein Schwert in die Scheide. Sie tat es ihm nach, und schließlich ließ auch Yngvarr seines sinken.
»Der Kampf ist vorbei«, rief Wulfher. In der einsetzenden Stille hörte Rúna jemanden klatschen. Es war die Dame im Turm.
Rúna rannte auf ihren Vater zu und fiel in seine Arme. Wie gut das tat! Sie küsste seine Wange, und er klopfte ihr auf die Schulter. Manchmal war es so viel leichter, Tochter statt Kriegerin zu sein. Und er erschien ihr trotz seines gebieterischen Auftretens eher wie ein Vater als ein Wikingerhäuptling.
»Rúna!«, schrie Yngvarr.
Sie drehte sich in den Armen ihres Vaters, um ihn anzusehen.
Mit einer erregten Geste wischte er sich das Blut von der Wange. »Ich wollte dich zu meiner Frau machen. Zu meiner Schlüsselträgerin. Wir hätten ruhmreiche Fahrten gemacht. Erst recht unsere Kinder! Wir hätten dem Geschlecht der Yoturer zu großem Ruhm und Reichtum verholfen und all diesen Anbetern eines schwächlichen Gottes den Garaus gemacht! Bald hätte man sich an den hiesigen Küsten wieder vor den Wikingern gefürchtet …«
»Hast du vergessen, von wem wir abstammen?«, unterbrach Rúna ihn. »Von friedlichen Siedlern aus dem Wikingerreich Jórvík an Englands Küste. Es ist Zeit, dass wir uns wieder daran erinnern.«
»Friedlich, ha! Und das sagt eine Frau, die begierig war, auf eine Wikingfahrt zu gehen?«
Rúna schüttelte traurig den Kopf. Verstand er sie wirklich so wenig? »Das war ich. Heute bin ich es nicht mehr.«
Sie löste sich von Baldvin und ging auf Yngvarr zu. Sie war sich sicher, dass er das Schwert nicht gegen sie erheben würde, auch wenn er es immer noch in der Hand hielt. Rouwen stand noch dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte, nur wenige Schritte von Yngvarr entfernt. Er wirkte angespannt – er würde sich in die Bresche werfen, sollte sie sich täuschen. Es schmerzte sie, ihn blutend und verletzt zu sehen – vor allem, da sie ihm eine der schlimmsten Wunden selbst beigebracht hatte. Aber der Ausdruck von Stolz und Zuneigung in seinen Augen ließ sie sich unbändig freuen.
»Ich habe in meinem jungen Leben nicht viel kämpfen müssen, den Göttern sei Dank«, sagte sie. »Aber das reicht mir nun auch für den Rest meines Lebens. Fing das Unglück unserer Sippe denn nicht an, als unsere Ahnen in Wilhelm des Eroberers großem Kampf um England mitmischen wollten?«
»Das Unglück fing an, als unsere Ahnen getauft werden sollten!«, schrie Yngvarr, Rouwen einen giftigen Blick zuwerfend. »Unser Urahn verlor seine Brüder durch die Christen. Er ließ seinen Sohn schwören,
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