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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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den Kopf. »Nein.«
    »Aber es ist wegen meiner Ohren?«
    »Mit absoluter Sicherheit kann ich das nicht sagen. Absolut sicher ist man ja nie. Dass das Aussehen von Ohren bei irgendjemandem regelmäßig dieses bestimmte Gefühl hervorgerufen hätte, habe ich auch noch nie gehört.«
    »Ich kenne jemanden, der immer niesen muss, wenn er Farrah Fawcett-Majors Nase sieht. Beim Niesen ist dieser psychische Faktor enorm. Sobald Ursache und Wirkung einmal verbunden sind, sind sie nur schwer wieder zu trennen.«
    »Über Farrah Fawcett-Majors Nase kann ich zwar nichts sagen«, begann ich und trank einen Schluck Wein. Dann hatte ich vergessen, was ich sagen wollte.
    »Es ist nicht genau das, was Sie meinten, nicht?«, sagte sie.
    »Ja, die Sache liegt ein bisschen anders«, sagte ich. »Das Gefühl, das ich bekomme, ist ausgesprochen vage und trotzdem stabil.« Ich breitete meine Arme aus, sodass die Hände zirka einen Meter Zwischenraum hatten, und ließ diesen dann auf fünf Zentimeter zusammenschrumpfen. »Ich kann es nicht gut beschreiben.«
    »Ein auf vagen Motiven beruhendes, konzentriertes Phänomen.«
    »Genau«, sagte ich. »Sie sind etwa siebenmal klüger als ich.«
    »Ich hab an einer Fernuni studiert.«
    »Fernuni?«
    »Ja, Fernstudium: Psychologie.«
    Wir teilten uns das letzte Stück Pastete. Ich hatte schon wieder vergessen, was ich sagen wollte.
    »Sie können den Zusammenhang zwischen meinen Ohren und Ihrem Gefühl noch nicht ganz begreifen, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich kann nicht eindeutig erkennen, ob es unmittelbar Ihre Ohren sind, die mich ansprechen, oder aber irgendetwas anderes, mit Ihren Ohren als Medium.«
    Sie bewegte, beide Hände auf dem Tisch, kaum merklich ihre Schultern. »Ihr Gefühl, ist es von der guten oder von der schlechten Sorte?«
    »Weder noch. Sowohl als auch. Ich weiß nicht.«
    Sie hielt mit beiden Händen ihr Weinglas und sah mich eine Weile an. »Sie sollten lernen, Ihre Gefühle etwas besser auszudrücken.«
    »Und ausdrücken kann ich mich auch nicht«, sagte ich.
    Sie lächelte. »So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich habe im Großen und Ganzen verstanden, was Sie meinen.«
    »Und, was soll ich nun tun?«
    Sie schwieg. Sie schien an etwas anderes zu denken. Auf dem Tisch standen fünf leere Teller. Fünf untergegangene Planeten.
    »Hören Sie«, unterbrach sie ihr langes Schweigen. »Ich denke, wir sollten Freunde werden. Vorausgesetzt natürlich, Sie sind einverstanden.«
    Ich nickte.
    Auf diese Weise wurden wir sehr, sehr enge Freunde. Nur dreißig Minuten, nachdem wir uns das erste Mal gesehen hatten.
    * * *
    »Als enger Freund möchte ich dich etwas fragen«, sagte ich.
    »Bitte.«
    »Erstens: Warum zeigst du deine Ohren nicht? Und zweitens: Haben deine Ohren jemals auf jemand anderen als mich eine besondere Wirkung ausgeübt?«
    Sie starrte wortlos ihre Hände auf dem Tisch an.
    »Dazu gibt es viel zu sagen«, sagte sie leise.
    »Viel?«
    »Ja. Aber vereinfacht ausgedrückt, läuft es darauf hinaus, dass ich mich an das Selbst gewöhnt habe, das seine Ohren verbirgt.«
    »Willst du damit sagen, dass du anders bist, wenn du deine Ohren zeigst, als wenn du sie verdeckst?«
    »Ja.«
    Zwei Kellner räumten unsere Teller ab und trugen die Suppe auf.
    »Willst du mir nicht von dem Du erzählen, das seine Ohren zeigt?«
    »Es fällt mir schwer, darüber zu reden; es liegt schon so lange zurück. Um ehrlich zu sein: Ich habe meine Ohren nicht mehr gezeigt, seit ich zwölf war.«
    »Aber du zeigst sie doch, wenn du als Modell arbeitest?«
    »Das stimmt«, sagte sie. »Aber das sind nicht meine echten Ohren.«
    »Nicht deine echten Ohren?«
    »Es sind blockierte Ohren.«
    Ich aß zwei Löffel Suppe und sah dann zu ihr auf. »Das musst du mir bitte etwas genauer erklären.«
    »Blockierte Ohren sind tote Ohren. Ich töte sie ab. Das heißt, ich trenne bewusst die Verbindung zwischen mir und meinen Ohren … verstehst du?«
    Nein, ich verstand nicht.
    »Dann frag«, sagte sie.
    »Die Ohren abtöten, bedeutet das, dass sie dann nicht mehr hören können?«
    »Doch, sie hören noch ausgezeichnet. Aber sie sind tot. Du kannst das sicher auch.«
    Sie legte den Löffel auf den Tisch, richtete sich kerzengerade auf, hob beide Schultern etwa fünf Zentimeter und schob ihr Kinn energisch nach vorn. So verharrte sie zehn Sekunden und ließ dann ganz plötzlich ihre Schultern fallen.
    »Jetzt sind sie tot. Versuchs mal.«
    Langsam wiederholte ich dreimal genau, was sie gemacht

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