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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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verwandelte sich in ein gewöhnliches Mädchen.
    »Die richtige Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte sie. »Ich kann meine Kraft selbst noch nicht recht fassen.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich. Sie war nämlich auch mit versteckten Ohren gar nicht so schlecht.
    * * *
    Sie zeigte mir ihre Ohren des Öfteren, meistens dann, wenn wir Sex hatten. Sex mit ihr schuf ganz sonderbare Stimmungen: Wenn es regnete, roch es deutlich nach Regen. Wenn Vögel sangen, hörte man sie ganz klar. Ich kann es nicht gut beschreiben, aber so ungefähr war es jedenfalls.
    »Zeigst du deine Ohren auch, wenn du mit anderen Männern schläfst?«, fragte ich sie einmal.
    »Natürlich nicht!«, sagte sie. »Sie wissen wahrscheinlich nicht einmal, dass ich Ohren habe.«
    »Wie ist Sex ohne Ohren?«
    »Wie Pflicht ohne Kür. Ich fühle nichts, so als ob ich auf einer Zeitung herumkauen würde. Aber das macht nichts. Pflichterfüllung ist ja nichts Schlechtes.«
    »Dann muss es ja umso toller sein, wenn du deine Ohren freimachst?«
    »Klar.«
    »Ja, dann zeig sie doch«, sagte ich. »Mach dir doch das Leben nicht unnötig schwer!«
    Sie sah mir lange in die Augen, um dann aufzuseufzen. »Du verstehst wirklich gar nichts.«
    Vieles verstand ich tatsächlich nicht.
    Zuallererst, warum sie gerade mich anders behandelte. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich im Vergleich zu anderen Männern etwas Herausragendes, Außergewöhnliches zu bieten gehabt hätte.
    Als ich das sagte, lachte sie.
    »Das ist doch ganz einfach«, sagte sie. »Weil du mich begehrst. Das ist das Wichtigste.«
    »Und wenn jemand anders dich begehrte?«
    »Zumindest jetzt bist du es, der mich begehrt. Außerdem bist du bedeutend besser, als du denkst.«
    »Und warum denke ich dann so über mich?«, fragte ich.
    »Weil nur eine Hälfte von dir lebt«, sagte sie geradeheraus. »Deine andere Hälfte liegt noch irgendwo unberührt brach. In diesem Sinne sind wir uns gar nicht unähnlich. Ich blockiere meine Ohren, und du lebst nur zur Hälfte. Findest du nicht?«
    »Selbst wenn dem so wäre, strahlt meine restliche Hälfte bestimmt nicht so wie deine Ohren.«
    »Vielleicht.« Sie lächelte. »Du verstehst wirklich nichts.«
    Und mit diesem Lächeln hob sie ihr Haar und knöpfte sich die Bluse auf.
    * * *
    Es war ein früher Nachmittag im September, der Sommer ging langsam zu Ende. Ich hatte mir in der Firma freigenommen, und während ich nun im Bett mit ihrem Haar spielte, musste ich die ganze Zeit an den Walpenis denken. Das Meer war bleischwarz, und ein stürmischer Wind schlug gegen die Fensterscheiben. Die Decke war hoch, und außer mir war kein Mensch in der Halle. Der Walpenis hatte mit seiner endgültigen Trennung vom Wal seinen Sinn als Walpenis völlig verloren.
    Dann versuchte ich mich noch einmal an Überlegungen zum Unterrock meiner Frau. Aber ich wusste nicht einmal mehr, ob sie überhaupt einen Unterrock besessen hatte oder nicht. ›Unterrock auf Küchenstuhl‹ – nur dieses träge, irreale Bild haftete in einem Winkel meines Gehirns. Was es für eine Bedeutung gehabt hatte, wusste ich auch nicht mehr. Mir war, als hätte ich lange, lange Zeit das Leben eines anderen Menschen geführt.
    »Trägst du eigentlich keine Unterröcke?«, fragte ich meine Freundin.
    Sie hob den Kopf von meiner Schulter und sah mich träge an.
    »Nein, hab gar keine.«
    »Ach so«, sagte ich.
    »Aber wenn dich so ein Unterrock reizt …«
    »Nein, nein«, beeilte ich mich zu sagen. »Deswegen hab ich das nicht gefragt.«
    »Du brauchst aber wirklich keine falsche Rücksicht zu nehmen. An so was bin ich von der Arbeit her zur Genüge gewöhnt, das bringt mich überhaupt nicht in Verlegenheit.«
    »Ich brauche keine Extras«, sagte ich. »Du und deine Ohren, das genügt vollkommen. Sonst brauche ich nichts.«
    Sie schüttelte gelangweilt den Kopf und ließ ihn zurück auf meine Schulter sinken, um ihn jedoch kaum fünfzehn Sekunden später wieder zu heben.
    »Du, in ungefähr zehn Minuten kommt ein wichtiger Anruf.«
    »Anruf?« Ich sah auf den schwarzen Telefonapparat neben dem Bett.
    »Ja, das Telefon wird klingeln.«
    »Das weißt du?«
    »Ja.«
    Sie hatte ihren Kopf auf meine nackte Brust gelegt und rauchte eine Mentholzigarette. Einige Zeit später fiel Asche auf meinen Bauch, neben den Nabel. Sie spitzte den Mund und blies sie aus dem Bett. Ich hielt ihr Ohr zwischen den Fingern. Ein tolles Gefühl. Ich döste, in meinem Kopf tauchten allerlei unförmige

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