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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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grünen …
    »Du verstehst wirklich gar nichts«, sagte meine Freundin. Genau, ich verstand wirklich gar nichts.
    Wellenrauschen. Schwere Winterwellen. Bleiernes Meer mit weißem Gekräusel. Froststarre Möwen.
    Ich bin im hermetisch verschlossenen Ausstellungsraum des Ozeanariums. Ein Walpenis neben dem anderen. Drückende Schwüle macht das Atmen schwer. Mach doch jemand das Fenster auf!
    »Nein!«, sagte der Fahrer. »Einmal offen, geht es nicht wieder zu. Und dann sterben wir alle!«
    Jemand macht das Fenster auf. Es ist furchtbar kalt. Möwengeschrei. Das Kreischen reißt mir die Haut in Fetzen.
    »Wissen Sie noch, wie der Kater heißt?«
    »Bückling«, antworte ich.
    »Nein, nicht Bückling«, sagt der Fahrer. »Der Name hat sich geändert. Namen ändern sich schnell. Sie kennen doch nicht einmal Ihren eigenen Namen!«
    Es ist furchtbar kalt. Und die Zahl der Möwen zu groß.
    »Mittelmäßigkeit muss leiden«, sagte der schwarz gekleidete Mann. »Den grünen Draht auf den roten Draht, den roten auf den grünen.«
    »Was vom Krieg gehört?«, fragte der Schafsmann.
    Airmail Special setzte ein, gespielt vom Benny Goodman Orchestra. Ein langes Solo von Charlie Christian. Er hat einen kremfarbenen Schlapphut auf. Das war das letzte Bild, das ich sah.

14. DIE VERHEXTE KURVE, ZWEITER BESUCH
    Vogelgezwitscher.
    Das durch die Ritzen in den Fensterläden einfallende Sonnenlicht malte ein Streifenmuster aufs Bett. Meine Armbanduhr, die auf dem Boden lag, zeigte sieben Uhr fünfunddreißig. Mein Unterhemd und die Decke troffen vor Schweiß, als hätte man einen guten Eimer Wasser über mich ausgeleert.
    Ich war noch wie benebelt, aber das Fieber war weg. Draußen vor dem Fenster lag die Landschaft im Schnee. Die Weide strahlte silbern im Licht des neuen Morgens. Die kalte Luft tat gut.
    Ich ging nach unten und duschte heiß. Ich war abscheulich blass, die Wangen in einer Nacht eingefallen. Ich verteilte dreimal so viel Rasierschaum wie sonst auf der Haut und rasierte mich sorgfältig. Dann ließ ich Wasser, unglaublich viel Wasser.
    Nach dem Pinkeln war ich so fertig, dass ich mich noch im Bademantel erst einmal für eine Viertelstunde aufs Sofa legen und ausruhen musste.
    Die Vögel zwitscherten weiter. Der Schnee begann zu schmelzen; Wasser tropfte von der Regenrinne. Ab und zu war ein fernes Krachen und Knirschen zu vernehmen.
    Halb neun. Ich trank zwei Glas Traubensaft und aß einen Apfel aus der Hand. Dann packte ich meine Sachen zusammen. Aus der Vorratskammer nahm ich mir eine Flasche Weißwein, eine große Tafel Hershey’s -Schokolade und zwei Äpfel mit.
    Ohne meine Sachen sah das Zimmer verloren aus. Alles ging seinem Ende zu.
    Neun Uhr. Ich sah noch einmal auf meine Armbanduhr, zog dann die Gewichte der Standuhr hoch und stellte die Zeiger auf neun. Dann rückte ich die schwere Uhr von der Wand ab und verband die hinten herausschauenden Drähte miteinander. Den grünen Draht auf … den grünen Draht. Dann den roten auf den roten.
    Die elektrischen Drähte kamen aus vier in die Rückwand der Uhr gebohrten Löchern. Oben zwei und unten zwei. Festgeklemmt waren sie mit dem gleichen Eisendraht, der auf dem Rücksitz des Jeeps gelegen hatte. Ich schob die Uhr wieder an die Wand, trat vor den Spiegel und bot mir einen letzten Gruß.
    »Hoffentlich geht alles gut«, sagte ich.
    »Hoffentlich geht alles gut«, sagte der im Spiegel.
    * * *
    Ich ging quer über die Weide denselben Weg zurück, den ich gekommen war. Unter meinen Sohlen knirschte der Schnee. Die Weide lag unberührt wie ein silberner Kratersee. Hinter mir führten meine Fußspuren zum Haus. Die Linie, die sie zeichneten, war erstaunlich krumm. Gerade gehen ist gar nicht einfach.
    Aus der Ferne wirkte das Haus fast wie ein Lebewesen. Es kauerte sich zusammen, um den Schnee abzuschütteln. In Schollen rutschte er die Schrägen des Daches hinab und krachte zu Boden.
    Ich setzte meinen Weg über die Weide fort. Dann ging ich durch den endlos langen Birkenwald, passierte die Brücke, umrundete den Kegelberg und stieß auf die berüchtigte Kurve.
    Der Schnee dort war Gott sei Dank noch nicht vereist. Aber wie sehr ich auch auf meine Schritte achtete, das drohende Gefühl, jeden Moment in die Tiefe gerissen zu werden, ließ mich nicht los. Eng an die bröckelnde Felswand gedrückt, brachte ich die Kurve hinter mich, nassen Angstschweiß unter den Armen. Ein einziger Alptraum aus Kindertagen.
    Rechter Hand kam die Ebene in Sicht. Auch dort lag Schnee.

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