Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
nicht anständig benahm, in einen Frosch zu verwandeln. Es sei denn, sie hatte zu viel Mitleid mit den anderen Fröschen.
Sie nickte mir kurz zu, aber sie sagte nichts, sondern ging direkt zu Shanaia. Sie kniete sich neben sie, legte eine Hand an ihren Hals, direkt unter dem Ohr, und fing sofort an zu singen. Fast so, wie es vorher die Nebelarme getan hatten, hüllte der Wildgesang uns ein, tief und hoch zugleich, eine plötzliche Wärme, ein Duft von Erde und nassem Laub, ein Zittern, tief im Körperinnern, dort, wo die Wirbelsäule verläuft.
Shanaia hustete leise, und ich sah, wie etwas aus ihrem Mundwinkel rann, etwas Schleimiges, Blassrotes, das nicht gesund aussah. Dann hustete sie wieder, etwas kräftiger, und das Frettchen zuckte kurz und machte dann einen wilden Freudensprung. Es fiepte und rieb sich an Tante Isas Hand, als wäre es ein kuscheliges Kätzchen, und Shanaia öffnete die Augen.
Es ging ihr noch nicht wieder gut. Ihr Blick war benommen und verwirrt, sie konnte sich nicht alleine aufsetzen. Sie umklammerte mit der Hand ein Büschel Gras und fing am ganzen Körper an zu zittern.
»Shanaia«, rief Tante Isa. »Shanaia, wir sind hier. Du bist hier. Komm zu uns zurück.«
Was meinte sie damit?
»Shanaia!« Laut und gebieterisch. Und plötzlich war es, als machte Shanaias Körper einen Satz, und ihr Blick veränderte sich.
»Ja«, sagte sie heiser und sehr leise. »Ich bin jetzt da.«
Dann hustete sie noch einmal schwach und schloss die Augen.
»Helft mir, sie auf Stjerne zu setzen«, sagte Tante Isa. »Sie kann nicht alleine gehen.«
Shanaias Haut war immer noch kalt, aber nicht mehr so eisig wie eben noch. Sie versuchte mitzuhelfen, aber sie hatte fast keine Kraft mehr, und es war nicht leicht, sie auf Stjernes breiten, runden Rücken zu heben.
»Halt dich an der Mähne fest«, sagte Tante Isa. »Wir sind bei dir.«
»Ja«, flüsterte Shanaia und kippte nach vorne auf Stjernes Hals. Sie griff mit beiden Händen in die struppige Wuschelmähne, aber trotzdem mussten Oscar und ich sie jeder auf einer Seite stützen, bis sie es schaffte, sich oben zu halten. Das Frettchen streckte den Kopf aus dem Kragen von Shanaias Lederjacke und stieß ein paar leise pfeifende Iiik-Iiik-Iiik-Laute aus, die besorgt und aggressiv zugleich klangen.
»Ich werde eure Hilfe brauchen«, sagte Tante Isa verbissen. »Wir müssen sie zu mir nach Hause bringen.«
»Aber …«, setzte Oscar an.
»Ich werde schon dafür sorgen, dass ihr danach zurückkommt«, sagte Isa. Luffe schaute mit totaler Hingabe zu ihr auf und wedelte so, dass sein ganzes Hinterteil hin und her wackelte. »Clara, ruf deine Mutter an und sag ihr, dass ich euch, so bald ich kann, nach Hause bringe.«
Ich glaubte nicht, dass Tante Isa klar war, was meine Mutter von so einer Nachricht halten würde, und beschränkte mich darauf, Mama eine SMS zu schicken: Bin mit Oscar bei Tante Isa. Kannst du Papa anrufen? Erkläre dir alles später . Das war im Moment einfacher.
»Sind das hier die wilden Wege?«, flüsterte Oscar mir zu, als wir gerade losgegangen waren.
»Noch nicht«, sagte ich.
Tante Isa ging vorneweg, dann folgte Stjerne, ganz vorsichtig, so als hätte sie Angst, Shanaia zu verlieren. Und dann wurde der Nebel dichter, und das Lärmen der Autos auf dem Elverdalsvej verstummte.
» Jetzt sind wir auf den wilden Wegen«, sagte ich zu Oscar.
Als wir an Tante Isas Haus aus dem Nebel der wilden Wege auftauchten, war es schon ganz dunkel geworden. Der Mond hing riesengroß und fast voll über den Baumwipfeln, über allem lag Raureif, und Schnee hatte Felder und Wege weiß gepudert. Die Felder, Wege, die Strohdächer von Haus und Stall, der Hof und die Apfelbäume im Obstgarten, das alles glänzte blau im Mondlicht. Offenbar brannte im Holzofen noch Feuer, denn eine dünne blaue Rauchfahne stieg aus dem Schornstein auf. Stjerne wieherte, und drinnen im Haus konnten wir Tumpe laut und freudig bellen hören. Luffe wurde ganz aufgeregt und fing an, an der Leine zu ziehen und zu zerren.
Tante Isa half Shanaia vom Pferderücken.
»Könnt ihr euch um Stjerne kümmern?«, fragte sie.
»Natürlich«, sagte ich, obwohl ich eigentlich keine Lust hatte, ausgerechnet jetzt in den Stall zu gehen. Shanaia war gerade so bei Bewusstsein und hatte noch nichts darüber gesagt, was eigentlich passiert war. Ich platzte fast vor Neugier. Aber Stjerne hatte sich ein anständiges Futter und jede Menge Streicheleinheiten verdient, so lieb und vorsichtig, wie sie
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