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Tödlicher Staub

Tödlicher Staub

Titel: Tödlicher Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Das Rätsel
    Es war ein sonniger, milder Nachmittag im Mai 1991. Auf den Wiesen am Moskwa-Ufer leuchteten die Blumenrabatten, die ersten weißen Ausflugsschiffe lagen tief im blauschimmernden Wasser des Flusses. Sie waren überfüllt mit frühlingssehnsüchtigen Menschen, denn erst Ende April hatte sich der Winter zurückgezogen, um dann plötzlich, buchstäblich über Nacht, zu weichen und einer strahlenden Sonne die Erde zu überlassen. Alles stürzte an die Moskwa, in die Parks, stürmte die Schiffe, und im riesigen Gorkipark begann die Vergnügungssaison – es war, als hole ganz Moskau tief Atem, werfe sich in luftige Kleidung und recke sich der Sonne entgegen, so, wie man sich unter einer wohltuenden Dusche dehnt und streckt. Auch Natalja Petrowna Victorowa war hinunter zum Fluß gegangen, saß auf einer Bank, hatte den weiten Rock über ihre Beine und die Schenkel hochgezogen, was manchen Vorbeiflanierenden zu einem langen Blick animierte. Sie hatte den Kopf zurückgelehnt, die geblümte Bluse spannte über ihrem Körper … so muß der Frühling aussehen! So und nicht anders. Leben! Pralles Leben! Sehnsucht im Sonnengold. Himmel, was lockst du da hervor aus dem Wintergrau!
    Natalja war neunzehn Jahre alt, aber mit der Erfahrung einer Dreißigjährigen belastet. Ihr Vater, ein strammer Kommunist, war nach Glasnost arbeitslos geworden; die Fabrik, in der er als Heizer an den Steinkohleöfen gearbeitet hatte, war die erste gewesen, die 1987 auf Ölfeuerung umstellte, alles automatisch, was einen Heizer überflüssig machte. Der neue Direktor, in Boston ausgebildet, ein eleganter, noch junger Mensch mit besten Manieren, schickte ihm nicht einfach einen Entlassungsbrief, sondern er ließ ihn in sein Chefbüro kommen. Mit Blick auf ein großes Foto von Gorbatschow stand Petr Nikolajewitsch Victorow nichtsahnend vor dem freundlichen Direktor, ja sogar in der Hoffnung, zum Vorarbeiter befördert zu werden. Verdient hatte er es.
    »Wie lange sind Sie schon bei uns?« fragte der Direktor jovial. Victorow straffte sich unwillkürlich.
    »Fast vierundzwanzig Jahre, Genosse Direktor.« 1987 sprach man sich noch so an.
    »Und keine Klagen. Wir sind stolz auf Sie, Genosse.«
    »Ich habe nur meine Pflicht getan.«
    »Das sehen wir auch so. Vierundzwanzig Jahre an den Öfen, in der heißen Unterwelt – das nagt die Kräfte aus dem Körper.«
    »Ich fühle mich gesund, Genosse Direktor. Man gewöhnt sich an alles. Ich liebe meine Öfen. Aber nun ist ja alles anders geworden. Jetzt verbrennt man Öl, ein Mann sitzt an einer großen Kontrolltafel, alles läuft automatisch, und ich und vier Kollegen – einer ist schon dreißig Jahre bei uns – müssen jetzt die Lagerhallen leerräumen. Alles nur Gerümpel.«
    »Sehen Sie, Victorow, das ist es!« Der junge Direktor lächelte gütig. »Sie haben es verdient, einen ruhigen Lebensabend zu verbringen.«
    »Ich bin erst vierundvierzig Jahre alt, Genosse Direktor.«
    »Vierundvierzig! Und davon vierundzwanzig in der glühenden Unterwelt. Gehen Sie nach Hause, Genosse, und genießen Sie das Leben. Ich entlasse Sie hiermit in die verdiente Ruhe …«
    Victorow verstand zunächst nichts. Wie sollte er auch eine Ahnung von dem kühlen Humor moderner, junger Manager haben? Aber als er den letzten Satz endlich begriff, stöhnte er leise auf.
    »Genosse … ich bin entlassen?« stotterte er.
    »Sie gehen in den Ruhestand.«
    »Und wovon soll ich leben?«
    »Das Kombinat zahlt Ihnen eine Pension.«
    »Wieviel? Darf man das fragen?«
    »Das rechnet unser Betriebsbüro aus.«
    »Man wirft mich nach vierundzwanzig Jahren raus?! Das geht doch nicht!«
    »Der neue Trend heißt: Rationalisierung, Kostensenkung, Angleichung an den Weltmarkt. Der alte staatliche Schlendrian hört auf.«
    »Und das ist nun das neue Rußland, Genosse Direktor?!« Victorow holte tief Atem. »Das ist Perestroika?«
    »Sie bekommen Ihre Urkunde per Post.« Der junge Direktor verlor ein wenig von seiner Freundlichkeit. »Sie können gehen, Genosse. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Ruhestand. Genießen Sie die kommenden Jahre.«
    Victorow erwiderte nichts mehr. Er bedankte sich auch nicht für seine ›Freiheit‹, sondern ließ hinter sich die Tür zuknallen. Im Vorraum aber sagte er laut: »Man sollte ihn mit Scheiße beschmieren!« Die Sekretärin blickte kurz von ihrer Schreibmaschine auf.
    »Meinen Sie den neuen Chef?« Sie lächelte etwas bläßlich. »Es wird noch schlimm werden mit unserem Rußland.«
    Zu Hause

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