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Wildhexe - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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öffnen, sah ich ihn. Den Feuervogel.
    Mit Flammengefieder und Flammenflügeln, mit Hals und Schwanz und Schnabel aus Feuer, mit Augen wie flüssiges Gold. In einem Schauer aus Funken, der auf mich herunterregnete wie Wunderkerzen, stieg er auf in den Himmel.
    Gut geantwortet, kleine Wildhexe. Du trägst das Feuer in deinem Herz.
    Er strich über die Baumwipfel, sodass die Raben mit den Flügeln schlugen, schoss in einem liebevollen, neckenden Tanz über mich hinweg und erhob sich wieder, stieg und stieg, bis er nur noch eine flammende Silhouette vor dem Mond war.
    Dann war er verschwunden. Und es wurde sehr still.
     
    Von den sieben Rabenmüttern stand nur noch eine auf den Beinen. Es war Thuja. Ihre Stimme war heiserer als die ihres eigenen Rabens. Sie schwankte und musste sich gegen den Baum stützen, neben dem sie stand.
    »Clara Ask ist durch das Herz des Feuers gegangen«, sagte sie. Und dann setzte sie sich hin und lehnte den Rücken an ihren Baum.
    Ich selbst spürte keine Müdigkeit. Noch nicht. Es war, als würde das Lachen des Feuervogels noch immer in mir nachhallen, und nicht einmal mein Knie tat mir weh.
    »Du hast es geschafft!«, jubelte Kahla, die als Erste bei mir angekommen war. Sie fasste mich an beiden Armen und fing an, mit mir zu tanzen, sie wirbelte mich herum, bis sich alles vor meinen wimpernlosen Augen drehte. »Du hast es geschafft, du hast es geschafft, du hast es geschafft!«
    »Clara-Schatz«, sagte Tante Isa. »Deine alte Tante ist stolz auf dich.«
    Und eine mitternachtsschwarze Katzengestalt kam herangeschlendert und schnurrte so laut, dass es klang wie ein gut geschmiertes Motorrad.
    Meine , sang sie hochzufrieden und stolz in meinem Kopf. Meine Wildhexe.
    Aber plötzlich brach etwas in den Jubel ein. Die Raben, Nebelkrähen, Dohlen und Saatkrähen fingen gleichzeitig an zu krächzen, zu schreien und zu zischen. Als wären sie alle eins, flogen sie auf und bildeten eine schwarze Wolke vor dem Mond.
    »Was ist denn jetzt?«, fragte ich verwirrt. »Was ist los?«
    Thuja klammerte sich an der Rinde des Baumstamms fest und kam wieder auf die Beine.
    »Chimära«, sagte sie. »Sie flieht.«
    Da sah ich sie. Ein gewaltiger Vogel zwischen den anderen, ein Riesenvogel, der kein Vogel war und ganz sicher auch kein Engel. Die Raben verfolgten sie, aber die gigantischen Adlerflügel auf Chimäras Rücken waren keine Verzierung, und dann stürzten die ersten schwarzen Vögel wie Steine vom Himmel, gefiederte schwarze Kugeln, die fielen und fielen und auf dem Boden zerschmetterten.
    »Nein!«, stieß Thuja klagend aus und presste plötzlich beide Hände vor ihre blinden Augen. »Die Raben sterben! Sie tötet die Raben!«
    Ich glaube, ich werde den Ausdruck in ihrem Gesicht niemals vergessen. Ihre blinde Trauer, die nicht nur dem Augenlicht galt, das sie verloren hatte. Sie tastete sich auf Händen und Knien vorwärts und berührte einen toten Vogelkörper nach dem anderen, aber sie konnte den Raben, der einmal ihrer gewesen war, nicht finden.

22  DAS LETZTE WORT
     
     
    Beinahe die Hälfte der schwarzen Vögel des Rabenkessels starb in dieser Nacht. Und Chimära entkam. Sie wurde geächtet und für rechtlos erklärt. Die Überlebenden suchten nach ihr, solange sie sich irgendwie auf Flügeln und Beinen halten konnten, aber sie fanden sie nicht. Sie war wie vom Erdboden verschluckt – oder vielleicht sollte ich lieber sagen, es war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    Thuja saß vor dem Kamin ihrer Stube und spürte wohl die Wärme in ihrem Gesicht, auch wenn sie die Flammen nicht sehen konnte. Ihre Hände lagen leer und untätig in ihrem Schoß.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wünschte, ich könnte irgendwie helfen.«
    Thuja drehte sich dem Klang meiner Stimme entgegen, aber sie stand nicht auf.
    »Es ist nicht deine Schuld«, sagte sie. »Schon eher unsere eigene.«
    »Wieso das denn?«
    »Wir hätten viel früher zuhören müssen. Und wir hätten schon lange neue Gesetze machen sollen. Dann wären wir nicht gezwungen gewesen, dich wie zu Bravita Blutkinds Zeiten auf die Probe zu stellen.« Sie streckte beide Hände nach mir aus, und nach kurzem Zögern verstand ich, dass sie sich von mir verabschieden wollte. Ich reichte ihr die Hand. Und obwohl ihr Griff warm und leicht war, konnte ich spüren, wie viel Kraft sie hatte. »Geh jetzt nach Hause, Clara Ask. Ich verspreche dir, dass wir auf Chimära aufpassen. Wir werden nicht zulassen, dass sie dir noch einmal wehtut. Und ich

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