Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
verabredete sich Albert mit mir wieder in Washington zum Abendessen. Der Kellner brachte mich in ein Séparée und da saß Lucia und lachte mir entgegen. In sechs Sprachen konnte ich mich fließend ausdrücken, ich konnte aus dem Stegreif Vorträge über technische Errungenschaften oder antike Kunst halten – in jenem Moment brachte ich kein Wort heraus. Sie zog mich auf meinen Platz und bestellte Champagner. Wie ich später erfuhr, hatte Albert nicht nur das Treffen arrangiert, sondern auch die Rechnung übernommen. Ich fand meine Sprache wieder. Mehr als das, nie wieder war ich so eloquent wie an jenem Abend. Wir betranken uns, tanzten in einem Club und nahmen zuletzt die Suite eines Hotels. Ich war nicht reich, aber ich wäre bereit gewesen, mein gesamtes Erspartes in einer Nacht mit ihr durchzubringen. Es war ein Rausch, ein einziger Rausch, der vier Monate währte. Ich vernachlässigte meine Arbeit, bekam zwei Wochen Urlaub, flog mit ihr nach New Orleans, musste zurück an den Schreibtisch, sah durch alle Akten hindurch nur ihr Gesicht, hörte in allen Sitzungen nur ihre Stimme. Albert mochte sie sehr, wir unternahmen viel zu dritt, manchmal auch zu viert mit seiner Frau. Er entlastete mich bei der Arbeit, gab mir Rückendeckung bei den Kollegen und ermahnte mich immer strenger, dass es so nicht weitergehen könne. Zuletzt sandte er mich nach Mosambik.“
Mosambik? Das sagte Jan etwas. Seine Eltern hatten dorthin eine Reise unternommen. Nein, das war Tansania gewesen, eine last-minute all-inclusive Safari von einem großen Tourismusanbieter. Kein Grund, Oliver zu unterbrechen.
„ Das Land hatte gerade seine Unabhängigkeit von Portugal erkämpft und versank in einem Bürgerkrieg. Die CIA entsandte eine kleine Einheit, um die anti-kommunistischen Rebellen auszubilden und strategisch zu beraten. Die Entsendung zog mir den Boden unter meinen glücklich taumelnden Füßen weg. Ich erwog, den Dienst zu quittieren, doch Lucia riet mir, die Aufgabe anzunehmen. Nach und nach sah auch ich ein, dass es sein musste. Ich hatte kein Geld mehr, die CIA verlor die Geduld und Lucia war oft erst so spät in ihrem Blumenladen erschienen, dass sie kurz vor der Kündigung stand. Ich nahm es als Auszeit, um wieder Tritt zu fassen und dann mit ihr einen beständigeren Rhythmus zu finden. Also flog ich Mitte Oktober nach Mosambik. Die Rebellen, die wir trainierten, waren noch unmenschlicher als die Regierung. Sie töteten, vergewaltigten, folterten, verstümmelten, versklavten. Selbst der dunkle Kontinent hat kaum einen so grausamen Bürgerkrieg erlitten wie diesen. Nach zwei Monaten bat ich um meine Rückversetzung. Albert lehnte ab, und er gestattete mir auch nicht, mit Lucia Kontakt aufzunehmen. In der Folge erhielt ich den Auftrag, Rebellenkommandeure bei Kampfeinsätzen taktisch zu beraten. Das war extrem gefährlich, da es in dem Guerillakrieg keine klaren Frontverläufe gab, und es war überraschend, schließlich unterstützten die USA offiziell die Regierungsseite und die CIA tat gut daran, unauffällig zu agieren. Zwei Wochen machte ich das mit, ehe ich mich über Alberts Verbot hinwegsetzte und bei Lucia anrief. Sie nahm ab, nannte ihren Namen. Als sie meine Stimme hörte, schwieg sie. Ich fragte, ob sie noch da sei, sie schluchzte und legte auf. Am nächsten Morgen bekam ich die Anweisung, eine Truppe bei einem gewagten Vorstoß zu begleiten. Das verstärkte meinen Verdacht. Ich belud einen Jeep mit Vorräten und machte mich aus dem Staub. Unter großen Gefahren gelangte ich nach Rhodesien. Zwar wusste ich damals noch nicht, dass die Rebellentruppe, der ich mich hätte anschließen sollen, in einem Hinterhalt aufgerieben worden war. Dennoch war ich überzeugt, dass Albert versucht hatte, mich loszuwerden.“
„ Aber warum, wenn ihr euch so gut verstanden habt?“, fragte Anna. „Hattet ihr einen Streit?“
„ Es konnte nur einen Grund geben: Lucia. Ich erinnerte mich genau, wie er mir einmal in einer Bar vorgehalten hatte, mich meines Glückes nicht würdig zu erweisen, nicht für ein Leben mit ihr vorzusorgen, wie er es täte, wenn er in meinem Alter wäre. Nachdem er mir dies mit ungewöhnlicher Heftigkeit vorgeworfen hatte, schüttete er seinen Bourbon hinunter und ließ mich einfach am Tresen stehen. Das fiel gänzlich aus seiner Art, und ich glaubte damals, er sei betrübt für mich. Doch nach den Erfahrungen in Mosambik fürchtete ich, dass er an jenem Abend in der Bar um seiner selbst willen getrauert hatte:
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