Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
Opfern perverse Fantasien aus und nutzte sie für ein höheres Ziel, einen langfristigen Plan, aber diese scheinbar rationale, übergeordnete Perspektive war selbst vom Wahn durchdrungen. Denn was konnte Anna ihm bieten, damit sich all das für ihn lohnte? Was würde ihm solche Lust verschaffen, dass er sich dafür ein Großaufgebot des FBI einhandelte? Und alles ohne eine realistische Aussicht, sein Verlangen je befriedigen zu können.
Jan ging zum Regal und blätterte in den Büchern. Es waren meist Thriller mit blutigen Covers, dazu einige Science-Fiction-Romane – das gleiche Gemetzel auf fernen Planeten.
Tom kam vom Rundgang zurück und bot Jan sein eigenes Buch an: ‚Wer die Nachtigall stört‘ von Harper Lee. Da Jan den Autor nicht kannte und der Titel ansprechend klang, nahm er das Angebot erfreut an. Er richtete sich in seinem Bett ein. Die Geschichte war so gut, dass es ihm halbwegs gelang, sich darauf einzulassen.
Im Flur grüßten sich Anna und ein Agent. Jan stand auf und setzte sich zu ihr an den Tisch im Aufenthaltsraum, wo sie frühstückte.
„ Geht es dir besser?“
Sie machte eine vage Handbewegung und griff zu ihrem Kaffee. „Seit wann trägst du eigentlich eine Brille?“
„ Die ist neu.“ Er fasste sich an die Nase. Nein, er hatte sie abgesetzt. „Ich brauche sie gar nicht, nur eine Dioptrie.“
„ Manchen Männern stehen Brillen gut.“ Sie musterte ihn über den Rand der Kaffeetasse. „Sag mal, hast du zugenommen?“
„ Was weiß ich?“
„ Klar hast du zugenommen. Du musst mehr Sport treiben!“ Sie klemmte sich eine Strähne hinters Ohr. Der grobmaschig gestrickte Ärmel des Mohair-Pullovers spannte sich wie ein Flügel. Das dünne Rollkragenhemd, das sie darunter trug, schmiegte sich an die schlanke Linie des Arms. Anna war perfekt – und er nach ihrem Geschmack zu dick.
Sie lächelte versöhnlich. „Oder lässt dir das Studium keine Zeit? Zu viele Hausarbeiten und Prüfungen?“ Jetzt auch noch das Studium! Das war kein Zufall. Ein Instinkt lenkte sie zu diesen Themen. Wollte sie ihn ärgern? Suchte sie Streit?
„ Morgen!“ Ralph platzte aus dem Flur herein. Unter seinen Augen hingen dunkle Ringe. „Immerhin ein Verbrechen habe ich aufgeklärt! Da ist die Kaffeekanne!“ Er goss sich einen Becher voll und blickte zwischen Jan und Anna hin und her. „Habe ich sogar ein Verbrechen verhindert? Ziemlich dicke Luft hier.“
„ Unter uns, Ralph“, raunte Anna, „man schminkt sich andersrum, das Blau gehört über die Augen.“
Er schnitt eine Grimasse. „Bei uns geht alles drunter und drüber – keine Ahnung, wann ich mal wieder zum Schlafen komme oder wo unten und oben ist.“
„ Was habt ihr herausgefunden?“, fragte Jan.
„ Nichts. Kein Hinweis auf einen Einbruch oder eine Auseinandersetzung, keine Fingerabdrücke oder sonstigen Spuren. Man könnte glauben, dass die Frau Angst bekommen hat und Hals über Kopf verreist ist – bloß säbelt man selten noch rasch seine Katze auf, bevor man die Wohnung verlässt.“ Die düstere Miene widersprach der zynischen Überdrehtheit.
„ Dein Kaffee“, erinnert ihn Jan.
Ralph setzte die Tasse an den Mund, da ertönte die Country-Sequenz. Er sah auf das Display des Handys, verschwand im Flur und erschien gleich wieder. „Das Double ist ebenfalls verschwunden!“
„ Juanita?“ Anna blickte betroffen.
„ Unsere mexikanischen Kollegen haben uns gewarnt, dass sie kapriziös ist wie eine Diva. Im nächsten Leben werde ich auch eine schlanke Frau.“ Mit beiden Händen umfasste er seinen Bauch und hob ihn leicht an. „Man könnte auch zwei aus mir machen.“
„ Scheiß auf deine Witze! Ihr habt auf die Tanzlehrerin aufgepasst und der Mörder hat sie sich geholt, und in der gleichen Nacht hat er sich mein Double geschnappt. Wie soll ich da noch daran glauben, dass ihr mich schützen könnt? Wie?“
Ralph lief rot an, dann atmete er schnaufend aus und ließ die Schultern sacken. „Hör zu, Anna, ich garantiere persönlich für deine Sicherheit. Der Häuptling hat den Mörder unterschätzt und zu wenige Agenten auf den Fall angesetzt. Aber ich habe seit deiner Landung darauf geachtet, dass dein Schutz lückenlos ist. Nach dieser Nacht wird unser Kontingent deutlich aufgestockt werden, spätestens morgen wird ein Haufen Superhelden aus der Zentrale eintreffen. Wenn hier irgendjemand sicher ist, bist du es.“
Anna musterte ihn herausfordernd. „Und woher weiß ich, dass du morgen nicht sagst: ‚Wir haben den
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