Wildnis
Unterlippe. „Möchten Sie einen Kaffee?“
Newman nickte.
„Holst du uns einen, Charlie?“, sagte Vincent zu einem uniformierten Kollegen. „Milch und Zucker?“
„Schwarz“, sagte Newman.
Vincent verzog sich wieder in sein Büro.
Der Cop brachte den Kaffee. „Wenn Sie rauskommen, gleich rechts – falls Sie noch einen wollen.“
„Danke“, sagte Newman.
Er trank den Becher leer und holte sich noch drei. Er las Zeitung. Er sah dem Kommen und Gehen der Cops zu. Er starrte die Neonröhren an. Um Viertel vor zwölf kam Croft.
„So, dann wollen wir mal, Mr. Newman.“
Der Raum war dunkel. Auf einer kleinen, angestrahlten Bühne standen drei Männer. Einer war Adolph Karl. Er trug einen dunkelblauen Polyester Freizeitanzug mit hellblauen Paspeln und ein hellblaues Polyesterhemd mit dunkelblauer Einfassung. Das Haar war schwarz und glatt zurückgekämmt, es sah feucht aus. Die Augen lagen tief in den Höhlen, die Ohren standen ab. Er schluckte einmal und der große Adamsapfel hüpfte. Newman wusste, dass Karl ihn in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, aber ihm wurde doch etwas mulmig. Vor sechs Stunden hatte er mit angesehen, wie Karl einer Frau mit drei Kugeln den Hinterkopf zertrümmert hatte.
„Erkennen Sie den Mörder unter diesen Männern?“, fragte Croft.
„Der Letzte, der im blauen Freizeitanzug.“
„Bestimmt?“, fragte Croft.
Newman nickte, dann fiel ihm ein, dass es dunkel war und Croft ihn nicht sehen konnte. „Ja, ganz bestimmt.“
„Sie könnten das vor Gericht beschwören?“
„Ja.“
„Sehr gut“, sagte Croft.
Sie gingen zurück zu Crofts Schreibtisch. Lieutenant Vincent kam aus seinem Büro. Croft nickte ihm zu. Dreimal.
Vincent grinste. „Sehr schön. Hat er seinen Anwalt mitgebracht?“
„Ja, aber jetzt haben wir den Dreckskerl. Mord, Murray. Da hilft kein Anwalt mehr.“
„Wenn er durchhält“, sagte Vincent mit einer Kopfbewegung zu Newman hin.
„Ich halt schon durch“, sagte Newman. „Er ist es bestimmt, ich habe ihn gesehen.“
Vincent lächelte. „Weiß ich ja. Nicht übel, den Adolph Karl endlich geschnappt zu haben. Wir sind lange genug hinter ihm her.“
„Was passiert jetzt?“, fragte Newman.
„Wir knöpfen uns Karl vor. Es wird eine Vorverhandlung geben. Sie bekommen Bescheid. Dann kommt es zum Prozess und Sie machen Ihre Aussage.“
„Kann ich jetzt gehen?“
„Ja, aber erst will einer aus dem Büro des Bezirksstaatsanwaltes noch ein paar Angaben von Ihnen. Hat der Streifenwagen Sie hergebracht?“
„Ja.“
„Bobby, du könntest Mr. Newman nach Hause bringen, wenn er hier durch ist.“
„Ich wohne in Smithfield“, sagte Newman.
„Okay, dann fährst du Mr. Newman nach Smithfield. Wenn du zurück bist, will ich dich noch mal sprechen.“
Croft nickte.
Es war fast zwei Uhr morgens, als sie über die Route 93 nach Norden rollten. „Wenn er durchhält, hat der Lieutenant gesagt. Was hat er damit gemeint?“, fragte Newman.
Der Polizeifunk brabbelte leise im Hintergrund, so gedämpft, dass Newman sich fragte, ob Croft überhaupt etwas davon mitbekam.
Croft zuckte mit den Schultern. „Manche Leute überlegen es sich anders. Sagen, dass sie sich geirrt haben. Ein Augenzeuge am Anfang ist gut, ein Augenzeuge am Ende ist viel besser.“
„Ich habe mich nicht geirrt“, sagte Newman.
Croft schwieg. Aus dem Funkgerät brabbelte es. Die Meldungen, rhythmisch und emotionslos verlesen, waren für Newman unverständlich.
Croft warf Newman einen raschen Blick zu und sah gleich wieder auf die Fahrbahn.
Newman war erschöpft. Er war seit halb sieben auf. Der Kaffee hatte ihn nervös gemacht, aber gegen die Müdigkeit hatte er nicht geholfen, hatte ihm nur einen sauren Magen gemacht. Er lehnte den Kopf zurück und atmete tief. Sechsundvierzig, dachte er. Ich bin sechsundvierzig.
Croft bog auf die Route 128 ein. „Ich sag’ jetzt was, wofür Lieutenant Vincent mir den Kopf abreißen würde.“
Newman machte die Augen auf und sah Croft an.
„Ich will Ihnen verraten, warum wir uns fragen, ob Sie durchhalten. Weil es sein könnte, dass jemand Sie unter Druck setzen wird. Sie sollen wissen, worauf Sie sich da einlassen. Adolph Karl ist ein Scheißpsychopath.“
Newmans Magen zog sich vor Angst zusammen.
„Sie meinen, er könnte mich daran hindern, meine Aussage zu machen?“
„Ja.“
„Glauben Sie, er würde mich umbringen?“
„Ich denke mir, dass er Ihnen erst drohen würde. Wir können Sie unter Polizeischutz stellen,
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