Wilhelm II
Beistandsversprechen für den Bündnispartner bezeichnet, umschreibt sie die Absichten Wilhelms auch zutreffend. Der deutsche Kaiser war überzeugt, dass die Österreicher das Recht hatten, Schritte gegen Serbien einzuleiten, und dass sie dies ohne Angst vor russischen Einschüchterungsversuchen tun sollten. Problematischer ist jedoch die These, dass Wilhelm die österreichischen Botschaften überinterpretiert und Zusagen gemacht habe, die über die österreichischen Absichten hinausgingen, und dass er damit den Krieg einen entscheidenden Schritt näher rücken ließ. 66 Es stimmt zwar, dass Franz Josephs Schreiben nicht ausdrücklich von »Krieg« gegen Serbien sprach, doch es ließ den Leser in keinem Zweifel, dass Wien selbst die radikalsten Maßnahmen in Betracht zog. Zum Beispiel betonte der österreichische Kaiser, dass »eine Versöhnung des Gegensatzes« nicht länger möglich sei und dass das Problem nur gelöst werde, wenn Serbien »als politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet ist«. 67 Auf jeden Fall war Graf Alexander Hoyos, der hohe Regierungsvertreter, der die kaiserliche Note nach Berlin überbracht hatte, selbst ein Fürsprecher einer Militäraktion; und er hatte auch die Aufgabe, die Deutschen über die Anschauungen des österreichischen Außenministeriums zu instruieren, das einem Krieg durchaus nicht abgeneigt war. 68 Sein Gespräch mit Arthur Zimmermann im Auswärtigen Amt in Berlin, in dessen Verlauf Hoyos von einer möglichen »Aufteilung« Serbiens sprach, ließ jedenfalls keinen Zweifel an dem Ernst der österreichischen Absichten. 69
Wie schätzten nun die Männer, die im »Potsdamer Rat« vom 5. Juli versammelt waren, das Risiko ein, dass ein russischer Angriff auf Österreich Deutschland in einen Krieg an zwei oder, noch wahrscheinlicher, drei Fronten verwickeln würde? Einige
Historiker waren der Ansicht, dass Wilhelm und seine Militärberater die Krise, die sich über Sarajevo zusammenbraute, als eine Gelegenheit betrachteten, unter für Deutschland günstigen Bedingungen einen Konflikt mit den anderen Großmächten herbeizuführen. Das Militär hatte sich in den letzten Jahren wiederholt für einen Präventivkrieg ausgesprochen, und es war mit Blick auf die anhaltende Steigerung der militärischen Bereitschaft der Entente durchaus vernünftig anzunehmen, dass sich das Verhältnis der militärischen Schlagkraft schon bald zu Ungunsten von Deutschland und Österreich-Ungarn verschieben würde. Sollte es so weit kommen, lag die Vermutung nahe, dass Deutschland nie wieder die Möglichkeit erhalten würde, die sich vergrößernde Kluft bei der Rüstung zu der Entente zu schließen. 70
Mit großer Wahrscheinlichkeit spielten solche Argumente bei den Überlegungen der deutschen Führung im Hintergrund eine Rolle, in dem Sinne, dass sie das wahrgenommene Risiko relativierten, das mit einem potenziellen Konflikt zwischen Deutschland und zwei oder mehr Großmächten verbunden war. 71 Auf der anderen Seite liegt aber auch auf der Hand, dass Wilhelm eine russische Intervention weder für wahrscheinlich hielt, noch provozieren wollte. 72 Am 2. Juli hatte Salza Lichtenau, der sächsische Gesandte in Berlin berichtet: Obwohl hohe Militärs erklärten, dass »wir es zum Kriege jetzt, wo Russland noch nicht fertig [sei], kommen lassen sollten«, halte er es für unwahrscheinlich, dass der Kaiser diese Ansicht übernehme. Am nächsten Tag stellte der sächsische Militärbevollmächtigte in einem Bericht fest, dass sich der Kaiser, im Gegensatz zu denen, die einen Krieg je eher desto besser für »günstig« hielten, »für die Erhaltung des Friedens ausgesprochen haben« soll. 73 Wilhelms Adjutant General Hans von Plessen, der an dem Treffen vom 5. Juli teilnahm, notierte in sein Tagebuch: »Bei uns herrschte die Ansicht […] dass die Russen – obwohl Freunde Serbiens – doch nicht mitmachen.« 74 Auf Falkenhayns Frage hin, »ob irgendwelche Vorkehrungen zu treffen seien« für die Möglichkeit eines Konflikts unter Großmächten, verneinte der Kaiser dies folglich. Das Zögern der Deutschen,
militärische Vorbereitungen zu treffen, das noch bis Ende Juli ein Kennzeichen des deutschen Krisenmanagements blieb, spiegelte womöglich zum Teil das Vertrauen der Armee auf den bestehenden Bereitschaftszustand wieder. Es zeugte, wie David Stevenson darlegt, aber auch davon, dass die deutsche Führung »am liebsten den Konflikt auf den Balkan beschränkt hätte, selbst wenn sie dadurch ihre
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