Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
Vom Netzwerk:
Ultimatums möglichst erst nach dem für 20. bis 23. Juli geplanten Besuch des französischen Präsidenten und des Regierungschefs in St. Petersburg erfolgen sollte. Unterdessen blieb die deutsche Regierung, laut dem sächsischen Gesandten in Berlin, entschlossen, die Österreicher nicht zu entmutigen, nahm aber auch davon Abstand, sie offen zu einer bestimmten Vorgehensweise zu drängen. 83 Wilhelm hörte um den 15. Juli mit Freuden, dass ein »energischer Entschluss« in Wien unmittelbar bevorstehe. Er bedauerte lediglich, dass es zu einer weiteren Verzögerung kommen werde, bevor die österreichischen Forderungen Belgrad übergeben wurden. 84
    Am 19. Juli wurde Wilhelm jedoch durch ein Telegramm an die Hohenzollern von dem Staatssekretär für auswärtige Beziehungen Gottlieb von Jagow in einen Zustand »höchster Erregung« versetzt. Das Telegramm enthielt nichts wesentlich Neues; die Ankündigung, dass nunmehr für den 23. Juli ein Ultimatum geplant sei und dass Maßnahmen getroffen werden sollten, damit der Kaiser für den Fall erreichbar sei, dass »nicht vorherzusehende Ereignisse auch für uns wichtige Entscheidungen (Mobilmachung) benötigen sollten«, führte Wilhelm jedoch das potenzielle Ausmaß der inzwischen drohenden Krise vor Augen. 85 Er gab sofort Befehl, dass die Hochseeflotte einen geplanten Landgang in Skandinavien absagen und sich stattdessen für die unverzügliche Abreise bereit halten sollte. Seine Befürchtung war verständlich, in Anbetracht der Tatsache, dass die britische Flotte ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine
Mobilmachungsübung durchführte und folglich bereits in hohem Grade kampfbereit war. Aber Bethmann Hollweg und Jagow vertraten zu Recht die Ansicht, dass dies lediglich Verdacht erregen und die Krise verschärfen würde, indem die Briten womöglich auf ihre Demobilisierung verzichteten. Am 22. Juli überstimmte die deutsche Regierung Wilhelm und seinen Marinestab und ordnete an, dass der Besuch in Norwegen wie geplant stattfinden solle. Diplomatische Prioritäten hatten immer noch Vorrang vor strategischen Überlegungen. 86
    Ungeachtet der steigenden Spannung blieb Wilhelm zuversichtlich, dass eine größere Krise vermieden werden konnte. Als man ihm am 25. Juli eine Kopie des österreichischen Ultimatums für Belgrad vorlegte, kommentierte er: »Was, das ist doch einmal eine forsche Note!« Wilhelm war offensichtlich genau wie viele in seinem Gefolge der Meinung gewesen, dass die Österreicher es am Ende nicht wagen würden, Serbien herauszufordern. Auf den Hinweis Admiral Müllers, das Ultimatum bedeute, dass ein Krieg unmittelbar bevorstehe, widersprach Wilhelm ihm vehement. Die Serben würden niemals einen Krieg gegen Österreich riskieren, behauptete er. Müller wertete dies als Zeichen, dass der Kaiser auf militärische Komplikationen noch überhaupt nicht gefasst sei und umfallen würde, sobald er erkannte, dass ein Krieg tatsächlich in den Bereich des Möglichen rücke. 87
    Am Nachmittag des 27. Juli kehrte Wilhelm nach Potsdam zurück. Am frühen Vormittag des nächsten Tages las er zum ersten Mal den Wortlaut der serbischen Antwort auf das Ultimatum, das zwei Tage zuvor von Wien zugestellt worden war. Von den zehn Forderungen, welche die Österreicher gestellt hatten, akzeptierte die serbische Regierung zwei bedingungslos und drei mit einigen Einschränkungen, wich weiteren vier mit verwirrenden oder irreführenden Antworten aus und wies eine ausdrücklich zurück. Der abgelehnte Punkt (6.) betraf die Forderung, dass von Wien »delegierte Organe« an der serbischen Untersuchung des »Komplotts vom 28. Juni« beteiligt würden. Die Serben wiesen dies mit der Begründung zurück, dass »dies eine Verletzung
der Verfassung und des Strafprozessgesetzes wäre«. 88 Wilhelms Reaktion war, gelinde gesagt, überraschend. Er schrieb auf seine eigene Kopie der serbischen Antwort die Worte: »Eine brillante Leistung für eine Frist von bloß 48 Stunden. Das ist mehr als man erwarten konnte! Ein großer moralischer Erfolg für Wien; aber damit fällt jeder Kriegsgrund fort.« Er war erstaunt, als er hörte, dass die Österreicher bereits eine Teilmobilmachung angeordnet hätten: »Darauf hätte ich niemals Mobilmachung befohlen.« 89
    Noch am selben Morgen (28. Juli) um 10 Uhr schickte er schleunigst einen Brief an Jagow, in dem er erklärte, da Serbien »eine Kapitulation demüthigster Art« erlitten habe, entfalle »jeder Grund zum Kriege«. Im folgenden schlug er vor, die

Weitere Kostenlose Bücher