Wilhelm II
Entschlossenheit, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. 48 Was die vielzitierte Äußerung gegenüber Max Warburg angeht (4.), so beendete der Bankier seine Darstellung von dem Gespräch beim Festessen mit der abschließenden Bemerkung: »Ich hatte nicht den Eindruck, dass er [der Kaiser] ernstlich an einen Präventivkrieg dachte […]« 49
Wenn sich Wilhelm ernsthaft auf die Vorstellung eines Präventivkriegs gegen Russland oder gegen Russland und Frankreich
festgelegt hätte, dann sollte man meinen, dass die Quellen dies in der Form von Gesten dokumentierten, die einen Kurs der offenen Provokation stützten. Genau diese Absicht wird Wilhelm von Willibald Gutsche im Fall des dritten Zitats unterstellt. Aber auch hier stoßen wir auf Probleme: Es ist kein Transkript von dem Treffen zwischen Wilhelm und Franz Ferdinand in Konopischte im Juni 1914 erhalten. Gutsches Zitat stammt aus einer Darstellung aus dritter Hand, die angeblich vom Erzherzog über einen Oberst Metzger an Franz Conrad von Hötzendorf, den österreichischen Generalstabschef, weitergegeben wurde. Letzterer dokumentierte die Äußerung dann in seinen Tagebüchern. 50 Aber Metzgers Darstellung steht im Widerspruch zu der völlig anderen Version, die der Erzherzog dem österreichischen Kaiser überbrachte. Laut dieser Schilderung, die in Hötzendorfs Erinnerungen ebenfalls erwähnt, von Gutsche aber nicht zitiert wird, hatte der Kaiser den Erzherzog gebeten, »vom Deutschen Kaiser die Erklärung zu verlangen, ob wir auch in Hinkunft unbedingt auf Deutschland rechnen können«. Der Erzherzog berichtete, dass die Ergebnisse des Treffens enttäuschend waren: »Der deutsche Kaiser sei der Frage ausgewichen und die Antwort schuldig geblieben.« 51
Gute Gründe sprechen für diese Version der Ereignisse, weil sie mit der allgemeinen Tendenz in Wilhelms Kommunikation mit den Österreichern zu Serbien in den letzten zwölf Monaten vor Kriegsausbruch übereinstimmt. Statt eindringlich aggressive oder provokative österreichische Aktionen gegen die Serben zu fordern, konzentrierte sich Wilhelm durchweg auf diplomatische Lösungen, die mit einem geringen Risiko verbunden waren. In einem Gespräch mit dem österreichischen Botschafter in Berlin vom Oktober 1913 räumte er beispielsweise ein, dass Serbien die regionale Vorrangstellung der Habsburger Monarchie akzeptieren müsse, doch seine konkreten Empfehlungen für die Österreicher waren ausnahmslos friedfertig. Der Botschafter berichtete nach Wien: »Seine Majestät stelle sich die Lösung des Problems in der Weise vor, dass wir Serbien an uns heranziehen durch alles,
was sie dort brauchen, das ist (1) Geld (vom König angefangen seien alle für Geld zu haben), (2) Militärische Ausbildung, (3) Handelsbegünstigungen.« Erst wenn alle diese Schritte scheiterten, wären die Österreicher berechtigt, Gewalt einzusetzen, um die Serben zum Einlenken zu zwingen. 52
Ein Bericht des österreichischen Gesandten in München vom 16. Dezember 1913 gab ein ähnliches Gespräch wieder, in dem Wilhelm erklärte, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen Diplomatie gegenüber Serbien die Bereitschaft Österreichs sei, auch Zugeständnisse zu machen: »Aber auch heute könnte Graf Berchtold meines Erachtens dort [in Belgrad] festen Fuß fassen, wenn er etliche Millionen flott opfert und den Serben das Theresianum [die angesehenste Militärakademie der Habsburger Monarchie] sowie Akademien und Anstalten und sonstige Gunstgelegenheiten, die der Zukunft vorarbeiten, [für serbische Kandidaten] breit öffnen würde.« 53 Genau dasselbe Thema – dass die Monarchie danach trachten sollte, Frankreich zu verdrängen, indem sie anbot, Serbiens Finanzkrise mit vorteilhaften Krediten zu lindern – kam in einer weiteren Diskussion der Balkanfrage mit Szögyényi am 12. März 1914 zur Sprache.
Wilhelm sprach sich so konsequent für eine Politik der friedlichen Koexistenz mit Serbien aus, dass seine Wiener Gesprächspartner frustriert waren über die offensichtliche Unfähigkeit des Kaisers, den Ernst der Gefahr zu erkennen, die der Monarchie von Belgrad drohte. Zu den zentralen Bemühungen der österreichischen Diplomatie in Berlin im Herbst 1913 und im Frühjahr 1914 zählte das Bestreben, das deutsche Bewusstsein für die Schwierigkeiten zu schärfen, die einer friedlichen Lösung des Streits mit Serbien im Wege standen. Aber trotz all dieser Bemühungen beklagte sich Kaiser Franz Joseph in einer Order an Berchtold vom 16. Mai
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