Wilhelm II
untrennbar miteinander verbunden gewesen waren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zu keinem Zeitpunkt dachte Wilhelm ernsthaft darüber nach, ob es eventuell möglich wäre, die Monarchie zu retten, indem er sie von seiner Person löste und ein anderes, politisch akzeptableres Mitglied der Dynastie auf den Thron setzte. Jedenfalls überrollten die politischen Ereignisse die qualvollen Überlegungen in Spa. Am Nachmittag des 9. November, um 2 Uhr, als Wilhelm gerade eine Erklärung unterschreiben wollte, nach der er auf den Kaiserthron, nicht aber auf die preußische Krone verzichtete, erreichte das Hauptquartier die Nachricht, dass Kanzler Max von Baden eine Stunde zuvor bereits die Abdankung Wilhelms von beiden Thronen bekannt gegeben hatte. Die Regierung liege nunmehr in den Händen des Sozialdemokraten Philipp Scheidemann. Um den Schock dieser erschütternden Meldung zu verdauen, brauchte Wilhelm einige Stunden. Dann stieg er in den königlichen Zug nach Deutschland, ohne eine Abdankungsurkunde zu unterschreiben (dies holte er am 28. November für beide Throne nach). Als sich herausstellte, dass eine Rückkehr nach Deutschland nicht in Frage kam, änderte der königliche Zug die Richtung und fuhr nach Holland. Auf die Meldung hin, dass Teile der Bahnlinie zur Grenze den »Revolutionären« in die Hände gefallen seien, stieg das königliche Gefolge in einen kleinen Konvoi aus Automobilen um. In den frühen Morgenstunden des 10. Novembers 1918 überquerte Wilhelm die holländische Grenze und verließ sein Land für immer.
Welche Schlussfolgerungen kann man aus Wilhelms Beteiligung am Entscheidungsprozess im Krieg ziehen? Aus der Darstellung geht eindeutig hervor, dass Wilhelm weiterhin eine zentrale Stellung in den Abläufen inne hatte, die einige der wichtigsten, politischen Fragen der Kriegsjahre entscheiden musste. Man mag dem Kaiser aktuelle Informationen vorenthalten und ihn von den Operationen der militärischen und zivilen Führung verdrängt haben; er mag hinter einer »Chinesischen Mauer« aus Adjutanten und Beratern verschwunden sein, wie manche Zeitgenossen behaupteten, aber er stand immer noch am Dreh- und Angelpunkt des politisch-konstitutionellen Gefüges. War er nur ein passives »Zünglein« an der Waage, dessen Stimme zur politischen Linie die Meinung innerhalb der Exekutive registrierte? Oder spielte er eine aktivere, bestimmendere Rolle?
Die Antwort ist eine Mischung von beidem. Es wäre lächerlich zu behaupten, dass Wilhelm maßgeblich kreativ an der Ausarbeitung der Politik beteiligt war – er war viel zu sehr von den Meinungen seines Umfelds abhängig. Außerdem fehlte ihm die Fähigkeit, in einer Weise vorauszudenken, wie es für Persönlichkeiten charakteristisch ist, die in der Politik das Sagen haben. Ebenso falsch wäre es jedoch anzunehmen, dass die Dinge sich ohne ihn genau gleich entwickelt hätten. Wie Holger Afflerbach nachweist, ist es undenkbar, dass Falkenhayn ohne Wilhelms Rückhalt bis zum Sommer 1916 an der Spitze der Heeresleitung geblieben wäre. In diesem Fall war Wilhelm bereit, gegen eine überwältigende Ablehnung des Stabschefs zu handeln (oder genauer auszuharren). Auch im Falle des uneingeschränkten U-Bootkriegs scheint es so gut wie sicher, dass die von Bethmann Hollweg und Wilhelm befürworteten Beschränkungen im Jahr 1916 nicht eingeführt worden wären, wenn der Kaiser die Anschauung des Kanzlers nicht unterstützt hätte. An dieser Stelle sollte man sich vor Augen führen, dass ein demokratisiertes, parlamentarisches Deutschland die Politik der Beschränkung wohl nicht gebilligt hätte – zumindest seit Anfang Herbst 1916 nicht.
In beiden Fällen bewies Wilhelm sein Beharrungsvermögen und wirkte verzögernd.
Man könnte einwenden, dass die Versäumnisse Wilhelms wichtiger waren als seine aktiven Einmischungen. Zum Beispiel unterließ er es, die Befehlsstruktur der deutschen Streitkräfte zu vereinheitlichen. Aber ein Vergleich der deutschen Leistungen mit denen der Entente-Mächte deutet nicht darauf hin, dass dieses Manko die Effektivität der deutschen Truppen auf dem Schlachtfeld wesentlich beeinträchtigt hätte. Wichtiger war vermutlich das Versäumnis, die zivile und die militärische Führung zu koordinieren und letztere der Autorität der ersteren unterzuordnen. Auch wenn die Halsstarrigkeit der Heeres- und der Seekriegsleitung unheilvolle Konsequenzen hatte, so kann man sie kaum als Ergebnis einer falschen Kriegspolitik bezeichnen. Die
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