Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
muss es kaum erwähnen, saßen Willy Brandt und Helmut Schmidt lange zusammen, um sich endlich auszusprechen miteinander.
9. November 1989 Der Mauerfall war das historische Ereignis, mit dem beide nicht gerechnet hatten. Alles veränderte sich, nichts würde so sein wie zuvor – das sahen Brandt und Schmidt ähnlich. Europäisch dachten sie gleichermaßen, deutschnational waren sie nie eingestellt, aber – plötzlich spielte der Altersunterschied von fünf Jahren keine Rolle – zugleich gehörten sie einer Generation an, die den Traum von der geeinten Nation noch bewahrt hatte.
Am Morgen danach, auf dem John-F.-Kennedy-Platz, wählte ein beseelter Willy Brandt als erste Worte in seiner Rede folgende, sorgsam bedacht: «Dies ist ein schöner Tag nach einem langen Weg.» Nicht erst am 13. August 1961 hat das alles begonnen, dem Tag des Mauerbaus – «das deutsche Elend begann mit dem terroristischen Nazi-Regime und dem von ihm entfesselten Krieg». Aus dem Krieg erwuchs die Spaltung Europas, Deutschlands und Berlins. Es brauchte lange, bis etwas in Bewegung kam, vieler kleiner Schritte, an die er erinnerte – nicht zuletzt das Passierscheinabkommen vom 16. März 1963, das Hunderttausenden Deutscher aus Ost und West wenigstens erlaubte, sich wieder zu besuchen. Es war der erste Stein, der aus der Mauer gebrochen wurde. Jetzt, fuhr er fort, wachse zusammen in Europa, was zusammen gehört.[ 12 ] In abgewandelter Form – jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört – wurde dieser Satz berühmt, Brandt hatte seine Rede selber redigiert und «Europa» herausgestrichen. Dadurch galt es als sein Wort zur nationalen Vereinigung.
Der Tag relativierte alles, natürlich auch die Spannungen zwischen Brandt und Schmidt. Welche Politik zum Mauerfall und zur großen Zäsur in Europa geführt hatte, der Weg zu dieser europäischen Revolution 1989, das interessierte in dem Augenblick nicht. Die Geschichte hatte entschieden, das sahen beide beglückt.
Nach dem Mauerfall: Der SPD-Ehrenvorsitzende und Präsident der Sozialistischen Internationale begrüßt die Herausgeberin der ZEIT Marion Gräfin Dönhoff sowie den Prager Außenminister a. D. Jiri Hajek während eines außerordentlichen SPD-Parteitages in Berlin im Dezember 1989.
Jede Sekunde seit dem Mauerfall schien Brandt zu genießen, eilte nach Rostock, Gotha, Eisenach, Leipzig und natürlich nach Erfurt, überall begeistert begrüßt. Dort, in Thüringen, ließ er den Film vor dem inneren Auge noch einmal Revue passieren: Zwanzig Jahre zuvor, am 19. März 1970, hatte er sich hier mit Willi Stoph getroffen, war kurz ans Fenster des «Erfurter Hofs» getreten, die Zuhörer hinter der Absperrung riefen lautstark «Willy, Willy!» – «unvergesslich» blieb das für ihn. Einige der ostdeutschen Zaungäste seien damals verhaftet worden, er wisse das wohl, vergaß Brandt bei der Wiederbesichtigung dieses wundersamen Tatorts nicht zu erwähnen.
Helmut Schmidt hatte an seiner Überzeugung festgehalten, die Nation bleibe unteilbar. Nicht nur als Kanzler, auch als Autor hatte er das oft wiederholt und sich davon überzeugt gezeigt, dass die staatliche Anerkennung der DDR, der Besuch «Bruder Honeckers» in Bonn, die deutsch-deutsche Kooperation die Bande letztlich festige. Er sollte Recht behalten. Und, ja, gehofft hatte auch er, gute Beziehungen zu Moskau könnten irgendwann einmal zu einem Ende der DDR führen. Schmidt sah sich – ohne Triumphgefühle – darin überraschend noch zu Lebzeiten bestätigt.
Bei Brandt jedoch erfüllte sich in diesen Monaten ein Lebenstraum. Schmidt hätte an ein Comeback nie gedacht. Vorstellen konnte Brandt sich hingegen für einen Moment sogar, Präsident eines «Deutschen Bundes» zu werden, falls die beiden deutschen Staaten – wie er annahm – auch weiterhin nebeneinander fortbestünden. Es kam alles schneller, zwei Monate später wusste auch Brandt, «die Sache ist gelaufen», die Einheit würde kommen.[ 13 ] Umso besser! Ein Jungbrunnen aber war die Rückkehr der Geschichte für Brandt, der alles noch einmal möglich zu machen schien.
Nur drei Jahre nach dem Mauerfall erlag er einem Tumorleiden. In der Klinik verzichteten sie im Mai nach zehn Minuten im Operationssaal auf den geplanten Eingriff, es erwies sich als hoffnungslos. Das Haus in Unkel verließ Brandt seitdem nicht mehr, seine Frau, Brigitte Seebacher, pflegte ihn bis zuletzt. Im Oktober 1992 starb er. Eine «Kanzlerbeerdigung» hatte er sich gewünscht, wie
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