Katharina von Medici (German Edition)
Einleitung
Sie lieben sich in Paradoxen zu ergehen, sagt man gemeiniglich, wenn Gelehrte, von einem historischen Irrtum befremdet, ihn rückgängig zu machen suchen; für jeden aber, der die moderne Geschichte gründlich studiert, wird es zur Gewißheit, daß Historiker privilegierte Lügner sind, die ihre Federn den volkstümlichen Ansichten anpassen, genau so wie die meisten heutigen Zeitungen nur den Meinungen ihrer Leser Ausdruck geben.
Historische Unabhängigkeit hat sehr viel weniger bei Laien als bei Mönchen geglänzt. Von den Benediktinern, die einen Ruhm Frankreichs bilden, sind uns, was Geschichte anlangt, die reinsten Erleuchtungen übermittelt worden, vorausgesetzt natürlich, daß der Mönche Interesse nicht mit ins Spiel gezogen war. Seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts haben sich denn auch große und gelehrte Kontroversisten erhoben, welche, von der Notwendigkeit durchdrungen, durch die Historiker verbreitete Volksirrtümer zu berichtigen, bemerkenswerte Arbeiten veröffentlichten. So erklärte de Launoy, der den Spitznamen Heiligenfresser bekam, den unbilligerweise in die Kirche eingeschmuggelten Heiligen einen grausamen Krieg. Ebenso begannen die Nacheiferer der Benediktiner, die allzuwenig bekannten Mitglieder der Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften, ihre an Geduld, Gelehrsamkeit und Logik so bewundernswürdigen Abhandlungen über dunkle historische Punkte. Desgleichen ließ Voltaire in seinem unseligen Interesse häufig das Licht seines Geistes voller trauriger Leidenschaft über historische Vorurteile leuchten. In gleicher Absicht schrieb Diderot ein allzulanges Buch über eine Epoche der römischen Kaisergeschichte. Ohne die französische Revolution hätte die Kritik sich vielleicht die Historie angelegen sein lassen und die Elemente einer guten und wahrhaften Geschichte Frankreichs vorbereitet, deren Fakten seit so langer Zeit durch unsere bedeutenden Benediktiner zusammengetragen worden sind. Ludwig der Sechzehnte, ein richtig urteilender Geist, hat selber das englische Werk übertragen, worin Walpole Richard den Dritten zu erklären suchte, mit dem sich das letzte Jahrhundert so eingehend beschäftigte.
Wie nun werden so berühmte Persönlichkeiten wie Könige und Königinnen, wie so gewichtige Männer wie Armeegenerale Gegenstand des Abscheus oder Spotts? Zwischen dem Liedchen von Marlborough und der englischen Geschichte schwankt die halbe Welt hin und her, wie man zwischen Geschichte und Volksglauben hinsichtlich Karls des Neunten hin und her pendelt. Zu allen Zeitläuften, wo große Schlachten zwischen den Massen und der Macht geschlagen wurden, schafft sich das Volk eine ogerhafte Persönlichkeit – wenn es erlaubt ist dies Adjektiv zu wagen, um einen rechten Begriff zu geben. Selbst in unserer Zeit wäre es ohne das Gedächtnisbuch von Sankt Helena, ohne die Kontroversen der Royalisten und Bonapartisten schier dahingekommen, daß Napoleons Charakter mißkannt worden wäre. Einige Abbés von Pradt mehr, noch einige Zeitungsartikel, und aus einem Kaiser wäre Napoleon ein Oger geworden. Wie verbreitet der Irrtum sich und wie verschafft er sich Geltung? Dies Geheimnis vollzieht sich vor unseren Augen und, ohne daß wir merken. Niemand macht sich einen Begriff davon, welchen Rückhalt die Buchdruckerkunst sowohl dem Neide, der sich an hochstehende Menschen heftet, als auch den volkstümlichen Scherzen verleiht, die eine große historische Tat im entgegengesetzten Sinne resümieren. So ist in ganz Frankreich des Prinzen von Polignac Name schlechten Pferden, auf die man loshaut, beigelegt worden. Und wer weiß, was die Zukunft von des Prinzen von Polignac Staatsstreiche halten wird? Einer Shakespeareschen Laune zufolge – und vielleicht wars eine Rache wie die Beaumarchais' an Bergasse (Bergearss) – ist Falstaff in England der Typ des Lächerlichen. Sein Name schon ruft Gelächter hervor. Er ist der König der Clowns. Anstatt ein maßlos beleibter, törichter, verliebter, eitler, trunksüchtiger, alter Wüstling zu sein, war Falstaff eine der wichtigsten Persönlichkeiten seines Jahrhunderts, Ritter des Hosenbandordens und befehligte ein höheres Kommando. Bei Heinrichs des Fünften Thronbesteigung war Sir Falstaff höchstens vierunddreißig Jahre alt. Dieser General, der sich in der Schlacht bei Azincourt auszeichnete und den Herzog von Alençon dabei zum Gefangenen machte, nahm anno 1420 Montereau ein, das tapfer verteidigt ward. Unter Heinrich dem Sechsten
Weitere Kostenlose Bücher