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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen.
    Im Foyer begegnete mir Gabi Gottschlich. Sie wirkte etwas runder als vor zehn Jahren, ihr Gesicht war härter, ihre Frisur strenger, ihre Kleidung erheblich damenhafter. Trotzdem war es unverkennbar Gabi. Vor zehn Jahren hatten wir eine kurze, aber heftige Affäre gehabt. Leider war ihr Freund damit gar nicht einverstanden gewesen. Seine nächtlichen Telefonanrufe und das Dauerklingeln an meiner Wohnungstür zerrütteten unsere Nerven. Hinzu kamen Aufforderungen zum Faustkampf, die ich missachtete, und eine Morddrohung. Nach etwa zwei Monaten waren alle Beteiligten der Meinung, dass es so nicht weitergehen könne. Und da sich Gabi nicht zu einer Entscheidung zwischen ihm und mir durchringen mochte, blieb es so, wie es vorher gewesen war.
    »Da staunst du, was, Georg?«, sagte Gabi.
    »Ja«, staunte ich.
    »Ich habe dich auf der Besetzungsliste gesehen und wollte dich schon anrufen. Aber dann hatte ich Angst, dass du mich nach zehn Jahren nicht mehr wiedererkennst.«
    »Wie könnte ich dich vergessen. Ich bekomme schließlich nicht jede Woche eine Morddrohung.«
    Sie strahlte mich an. Das alte verführerische Lächeln. »Wie geht’s dir?«
    »Abgesehen vom Finanziellen, geht’s mir nicht schlecht. Man schlägt sich so durch. Letztlich kommt’s doch nur darauf an zu überleben, ohne allzu viele Hinterteile zu lecken.«
    »Mir geht’s blendend«, versicherte sie. »Ich habe einen Job, der mir Spaß macht, komme viel rum und kriege dafür mehr Geld, als ich zum Leben brauche.«
    »Toll«, sagte ich. »Du bist also nicht Lehrerin geworden?« Damals stand sie kurz vor dem Examen.
    »Nee.« Sie schüttelte sich. »Nach dem Referendarjahr hatte ich die Nase voll. Jeden Tag vor einem Haufen Kinder zu stehen, die einen fertigmachen wollen. Ich bin doch keine Masochistin. Zufällig habe ich jemanden von Mega Art kennengelernt, als ich nicht wusste, was ich machen sollte. Und dann bin ich ins Filmgeschäft eingestiegen.«
    »Als was?«
    »Ich kümmere mich um alles: Geld, Casting, Organisation. Offiziell nennt sich das Produktionsassistentin.« Sie guckte auf ihre Uhr. »Georg, ich würde gerne ein Bier mit dir trinken und ein bisschen plaudern, aber ich muss noch ein paar Sachen erledigen. Wir sehen uns ja ab morgen bei der Arbeit. Dann finden wir bestimmt Zeit für einen längeren Schwatz.«
    »Ich freue mich drauf«, sagte ich.
    Dann trippelte sie mit schnellen Schritten Richtung Kellerbar, und ich ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Der Himmel war sternenklar, die Luft samtig weich, und die Wanderwege rund um den See sahen aus, als wären sie alleine für mich angelegt worden. Ich atmete tief und gleichmäßig. Vor zwei Tagen hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich so schnell den Sprung von der Hundesuche ins große Filmgeschäft schaffen würde. Auf der anderen Seite kannte ich die Gefahren, die sich bei der Beschattung untreuer Ehefrauen ergaben. Welche Messer hier gewetzt wurden, musste ich erst noch herausfinden.
    Die glimmenden Überreste eines Holzfeuers lockten mich näher ans Seeufer. Rund um das niedergebrannte Lagerfeuer schlummerten vier Gestalten in Schlafsäcken. Das Letzte, was sie gesehen hatten, bevor sie einschliefen, war das hell erleuchtete Luxushotel auf der anderen Uferseite. Ganz zweifellos besteht die Crux menschlichen Daseins darin, dass man immer das will, was man gerade nicht hat.

IV
    Das Merkwürdige an der Filmerei ist, dass mal hier, mal da ein Schnipsel des späteren Films gedreht wird, ohne Rücksicht auf Chronologie und logische Abfolgen. Erst im Nachhinein, am Schneidetisch, entsteht daraus bestenfalls eine verstehbare Geschichte.
    Meinen Kollegen schien es keine Probleme zu bereiten, dass wir mit dem Ende der Episode anfingen, uns dann langsam zum Mittelteil vorarbeiten sollten, um am Ende am Anfang anzulangen. Der Anfang spielte nämlich auf der Jacht, und deren Erscheinen hatte sich, aufgrund irgendwelcher Verzögerungen beim Innenumbau, mittlerweile um zwei Tage verschoben.
    Aber immerhin waren meine Kollegen erfahrene Fernsehschauspieler und ich ein blutiger Neuling. Und deshalb hatte ich schon einige Mühe, mich seelisch an der richtigen Stelle zu justieren.
    Vor Drehbeginn musste ich noch in die Maske, das heißt, ich wurde geschminkt und gepudert, bekam sogar einen Hauch Lipgloss ab. (Seitdem weiß ich, warum Schauspieler besser aussehen als normale Menschen.) Anschließend verpasste mir die für Kostüme

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