Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
zuständige Frau einen sagenhaft originellen grünen Trenchcoat, und Dieter ging mit mir den Text durch. Er bestand aus drei einfachen Sätzen, die ich nach fünf Minuten traumwandlerisch beherrschte. Und dann konnte es auch schon losgehen.
Für die schwere Filmkamera hatte man eine Schiene verlegt. Vier Sklaven schoben und zogen die Kamera samt Kameramann, der auf einem Sessel saß, und Assistent, der unter der Kamera hockte, vor und zurück. Dieter flüsterte mir etwas von »Kameraprobe« ins Ohr.
Charly Rommersberger stand und brüllte, und das war mehr, als ich ihm zehn Stunden zuvor zugetraut hätte. Sein Brüllen klang scheppernd und pfeifend, weil es durch ein Megafon verstärkt wurde, und ich war sicher, dass er damit die Fauna in einem Umkreis von einem Quadratkilometer von ihren Nist-, Brut- und sonstigen Plätzen fernhielt und das ökologische Gleichgewicht empfindlich störte.
»Alles, was da hinten herumsteht, wenn ihr nicht in drei Sekunden verschwunden seid, schmeiß ich euch eigenhändig in den See. Und schafft endlich das Kabel weg! Die Szene spielt im Wald und nicht in einer Kabelfabrik.« Rommersberger setzte das Megafon ab. »Und nun zu euch.« Damit meinte er Becher und mich. »Becher, Sie gehen durch den Wald, als würden Sie Pilze suchen. Wilsberg, Sie folgen fünf Sekunden später, achten Sie auf Conny, die gibt Ihnen den Einsatz. Becher bleibt stehen ...«
»Wo?«, fragte Becher.
»An dem Baum da vorne. Becher dreht sich um, Wilsberg bleibt ebenfalls stehen. Becher kommt zurück. ›Warum folgen Sie mir?‹ und so weiter. Es folgt die kleine Rangelei.«
»Wenn ich Sie um eines bitten dürfte«, wandte sich Becher mit seiner sonoren Stimme an mich.
Ich guckte ihn fragend an.
»Schlagen Sie nicht zu fest zu! Ich weiß, dass Amateure den Realismus gerne übertreiben. Holen Sie nur aus, alles andere mache ich. Es wird so aussehen, als hätten Sie mir einen gewaltigen Schwinger ver...«
»Ja, ja«, unterbrach ihn Rommersberger. »Das geht schon in Ordnung. Wilsberg kennt sich da aus. Er ist schließlich der harte Junge.«
»Ich pflege mich nicht zu prügeln«, warf ich ein.
»Verdammt noch mal, kann ich jetzt endlich mit meinen Regieanweisungen fortfahren. Das hier ist kein verfluchtes Kaffeekränzchen. Alles, was wir machen, kostet schweinemäßig viel Geld.«
Becher deutete eine ironische Verbeugung an.
Rommersberger beruhigte sich etwas. »Also: Becher rappelt sich auf und will sich erneut auf Wilsberg stürzen. In dem Moment ziehen Sie die Pistole und schießen. Verstanden?«
Ich machte einen letzten Vorstoß. »Auch auf die Gefahr hin zu nerven, aber ich halte das nicht für eine gute Idee. Mal abgesehen davon, dass ich den Gebrauch von Schusswaffen grundsätzlich ablehne. Es macht im konkreten Fall wenig Sinn, dass ich den Tatverdächtigen einfach abknalle.«
Rommersberger riss sich die Baseballmütze vom Kopf und warf sie auf den Waldboden. »Gabi«, schrie er, »Gabi.«
Gabi kam von irgendwoher angeschossen.
»Gabi, bitte mach diesem Wahnsinnigen klar, dass wir uns mitten in den Dreharbeiten befinden. Wenn er irgendwelche Probleme mit dem Plot hat, hätte er das dem Autor vor drei Monaten mitteilen sollen.«
Da mir Rommersberger den Rücken zukehrte, blieb mir nichts anderes übrig, als mit seinem Hinterteil zu reden. »Ich wollte nur meine grundsätzlichen Bedenken deutlich machen.«
Rommersberger drehte sich um und zeigte mit dem Finger auf mich. »Wenn ich nur das machen würde, was mir gefällt, hätte ich seit zehn Jahren keinen Meter Film mehr gedreht. Entweder wir ziehen den Scheiß hier durch, oder wir gehen alle nach Gran Canaria und halten unsere Bäuche in die Sonne. Ein Mittelding gibt’s nicht.«
»Man hat mir erzählt, dass Sie ein Meister der Improvisation seien. Da muss ich mich wohl verhört haben.«
Er verzog missmutig die Mundwinkel. »Das letzte Mal, als ich improvisiert habe, saß ich auf dem Klo, und das Klopapier war alle.«
»Wir können jetzt wirklich nichts mehr ändern, Georg«, unterstützte ihn Gabi. »Jede Minute Drehzeit kostet Geld. Da bleibt kein Raum für Experimente.«
»Eine Menge Geld«, brummte Rommersberger. »Wenn ich heute Abend nicht vier Szenen im Kasten habe, reißt mir Poppelhove den Kopf ab.«
»Na gut, ich schieße«, gab ich nach.
Becher, der der Unterhaltung mit einem breiten Grinsen im Gesicht gefolgt war, sagte: »Es sind ja nur Platzpatronen, hoffe ich zumindest.«
Rommersberger ignorierte ihn: »Zielen Sie
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