Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
dritte nicht. Sie führte in einen Lagerraum, in dem große Kartons standen. Außerdem lag ein leichter Schwefelgeruch in der Luft. Kein Zweifel, der Täter hatte von hier aus geschossen.
Der Aegidiimarkt war nicht nur ein weitläufiges Gebäudeensemble, das einen rot gepflasterten Innenhof umstand, mit Geschäften, der Volkshochschule und Wohnungen, er verfügte zu allem Überfluss auch noch über eine Tiefgarage mit mehreren Etagen und hunderten von Parkplätzen. Falls der Täter motorisiert war und sich in die Schlange der abfahrenden Kaufsüchtigen einreihte, würde ich ihn nicht identifizieren können. Ich rannte die Treppe hinunter und hoffte, dass er das Gebäude zu Fuß verließ, erkennbar an einem Koffer oder einem länglichen Behälter und einem betont gleichmütigen Gesichtsausdruck.
Nachdem ich drei Minuten auf dem Innenhof gewartet hatte, war ich mir sicher, dass er mit dem Auto geflüchtet sein musste. Ich holte mein Handy aus der Tasche und ließ mich im Polizeipräsidium mit Hauptkommissar Stürzenbecher verbinden.
Stürzenbecher grunzte. »Was willst du, Wilsberg?«
»Eine schwere Körperverletzung oder einen Mord melden.«
»Toll. Kannst du dich nicht entscheiden?«
»Ich bin hundert Meter vom Opfer entfernt. Das lässt keine exakte Diagnose zu.«
»Und wer ist das Opfer?«
»Professor Günter Kaiser vom Philologischen Fachbereich der Uni Münster.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Jemand hat auf ihn geschossen.«
»Fantastisch«, knurrte Stürzenbecher. »Ich wollte nächste Woche in Urlaub fahren. Hast du vielleicht auch den Namen des Täters?«
»Tut mir Leid, damit kann ich nicht dienen.«
»Dachte ich es mir doch«, maulte der Hauptkommissar. »Anstatt einem alten Mann die Arbeit zu erleichtern, versaust du mir den Urlaub. Na schön, wo finde ich diesen Kaiser?«
Ich beschrieb die Lage des Instituts für Sprachwissenschaft und empfahl ihm, den Notarzt zu verständigen, falls es die Sekretärin des Professors noch nicht getan hatte. »Vielleicht hast du ja Glück und Kaiser ist gar nicht tot. Dann kannst du den Fall auf einen deiner Leute abschieben.«
»Glück«, sagte Stürzenbecher, bevor er auflegte, »Glück kenne ich nicht.«
Kaisers Sekretärin stand unter Schock und brabbelte unverständliche Sätze vor sich hin. Ich trat durch die geöffnete Tür in das Zimmer des Professors. Ein Mann im grauen Hausmeisterkittel und eine ältere Frau, die nach Verwaltung aussah, standen mit zitternden Beinen und blutigen Händen neben dem merkwürdig gekrümmten Körper, der in einer großen Blutlache schwamm. Sie hatten versucht, Kaiser wieder zu beleben. In den täglichen Arztserien mochte das gelingen, die Wirklichkeit war brutaler. Kaiser war tot, absolut tot. Wahrscheinlich war er schon tot gewesen, als er auf der blonden Studentin gelegen hatte.
Der Raum war überhitzt und stank nach Blut und Schweiß. Ich schaute mich um und verglich die Eindrücke mit dem, was ich durch meine Kamera gesehen hatte. In der Ecke stand ein abgewetztes Sofa, auch der Schreibtisch hatte schon bessere Tage erlebt. An den Wänden hatte Kaiser ein paar Porträts aufgehängt. Sie zeigten ernst blickende Männer in grauen Anzügen, weißen Hemden, eng gebundenen Krawatten und Hornbrillen, vermutlich berühmte Sprachforscher, die Kaisers Weg in die Wissenschaft geebnet hatten.
Ansonsten gab es wenig Auffälliges, nur die üblichen Berge von Büchern, Papieren, gebundenen Examens- und Hausarbeiten. Auf dem Schreibtisch lag Kaisers randlose Brille. Immerhin unterschied er sich in diesem Punkt von seinen Vorbildern.
Ein junger, weiß gekleideter Notarzt und zwei Sanitäter stürmten herein. Die Sanitäter wollten ihre Geräte auspacken, aber der Arzt winkte ab. Den Vorschriften entsprechend suchte er Kaisers Puls, den er erwartungsgemäß nicht fand. Mit zwei Fingern drückte er die Augen des Toten zu, dann zupfte er die Latexhandschuhe von den Händen und warf sie auf seinen Arztkoffer.
»Offenbar liegt hier ein Gewaltverbrechen vor«, wandte er sich an den Hausmeister. »Ist die Polizei schon verständigt?«
»Ja«, sagte ich.
»Sie müssen warten, bis die Polizei Ihre Personalien aufgenommen hat.«
»Aber, wir haben doch nichts ...«, stammelte die Frau.
»Vorschrift«, sagte der Arzt.
»Sie sollten sich um die Sekretärin kümmern«, schlug ich vor.
Der Arzt warf mir einen scharfen Blick zu. »Danke für den Hinweis.«
Die Hitze ließ uns alle ein wenig gereizt werden.
Der Hausmeister und die
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