Wind & Der zweite Versuch

Als Eddie die eingespannten Füße bewegte, um die Schwungräder anzutreiben, merkte er, wie eine sanfte Kraft ihm dabei half. Eddie hatte nirgendwo einen Hilfsmotor gesehen. Tina zeigte Genugtuung über seine Überraschung. Die Freude, nach dem Hilfsmotor zu fragen, wollte er ihr nicht auch noch machen. Das fliegenleichte Gefährt hoppelte unangenehm über die verbeulten Wege des Bolos, aber als die beiden auf die Straße geglitten waren, bewegte es sich so quecksilbrig und geschwind, daß Eddie neues Vertrauen in Tinas Fahrkünste fassen mußte. Der Grenzschützer las immer noch.
    Sie kurvten durch Emden. Die Straßen der besseren Gegenden waren von schwebenden Kugeln erhellt, die ihre Umgebung sanft orangefarben tönten, mit dem selber blaß fluoreszierenden Gefährt dort hindurchzugleiten, versetzte selbst Eddie in eine gelöstere Stimmung. Die schlug blitzartig um, als sie beide an einem Schützenpanzer der Polizei vorbeifuhren, scheinbar war man aber nicht im Einsatz, die Bullen hingen am Tresen der Hamburgerfreßbude, vor der die Karre geparkt war.
    Raus aus der Stadt, auf die glatte Bahn. Sie nahmen Geschwindigkeit auf, Eddie kam dabei nicht ins Schwitzen. Tina hielt ihm jetzt doch den Vortrag, den er nicht hören wollte, sie brauchte die Sicherheit, daß er ihr Spielzeug richtig zu würdigen wußte.
    »Man kann mit dem Teil 200 Spitze machen. Die ganze Hülle ist solaraktiv. Sammelt sogar Saft von künstlichen Energiequellen. Falls du dich gefragt hast, woher die Anfangsbeschleunigung kommt, die Batterien sitzen im Gestänge. Genau gesehen, sind die Batterien das Gestänge. Alles ganz neu, ganz frisch, ganz unpatentiert, und viele, viele Ideen sind nur von mir.«
    »Toll«, sagte Eddie lahm und versuchte, so gleichmäßig wie möglich zu treten. Irgendwie wäre ihm der Schützenpanzer von eben lieber gewesen, rein sicherheitstechnisch betrachtet.
    Sie zogen vorbei an Riepe und Ochtelbur. Um Uppenborg machte die Straße einen großen Bogen, dort war die Strahlung noch immer zu hoch. Die Anzeige, die ihnen ihre Durchschnittsgeschwindigkeit in die Kabine projizierte, zeigte ständig Werte um 90 km/h. Die Stadtgrenze von Aurich erreichten sie um 2011.
     
    Dicke Höhle, dunkel, und warm war’s im »Mehrfachen Mann« auch noch. Von den Decken fiel an manchen Stellen unablässig eine holographische Flüssigkeit, ein Idiot stand seit einer Viertelstunde unter der Lichtdusche und fand das sehr originell. Eddie umklammerte ein mexikanisches Bier zu seiner eigenen Sicherheit, etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Die Musik war so laut wie ein Düsenjet, das galt hier scheinbar als normal. Als er Tina fragte, warum sie hier waren, hielt sie ihm einen Zeigefinger auf den Mund, und plötzlich, für Sekunden, knisterte sein ganzer Körper. Überhaupt schien sie die Fahrt erotisiert zu haben, wo dieser Lippenstift auf einmal herkam (Aubergine metallic), war ihm schleierhaft. Auf dem Boden lagen die plattgetretenen Reste von Luftschlangen, als habe es hier erst neulich etwas zu feiern gegeben. Eddie versuchte, sich den Barkeeper (kurzer Queriro und ein Pfund Eisen in der Nase) mit einer Karnevalsmütze auf dem Kopf vorzustellen, das war so absurd, daß ihm leicht übel davon wurde. Oder wurde er schon langsam betrunken? Alkoholkonsum für Angestellte der Firma Impact Offshore Engineering im Dienst streng verboten. Außerhalb auch. Er war kein Angestellter der Firma Impact Offshore Engineering mehr. Er war Freiwild. Die Menge zockelte ein, kryptische, leise Begrüßungsriten, rituelles Mißtrauen gegen ihn, den man hier noch nie gesehen hatte, nicht hinsehen, nicht hinsehen. Man begann zu warten. Warten war hier Bürgerpflicht. Man wartete, als warte man auf Ereignis. Eddie war versucht noch einmal nachzufragen, nur um Tinas Finger wieder auf seinen Lippen zu spüren, ein letzter Rest seiner männlichen Coolness verbot es ihm. Als er es trotzdem tun wollte, war Tina im Gespräch mit einem auffällig altmodisch Langhaarigen, sein bleiches, schmales Gesicht wurde gerade halbseitig blau angestrahlt und verwandelte sich dadurch in das talentlose Pfuschwerk eines Hobbysurrealisten. Die Unterhaltung schien nicht durchgängig angenehm, Tina beendete sie mit ihrem Standardspruch für heute: »Verpiß dich!« Der Bleichmann lächelte ein verbindliches Halsabschneiderlächeln und trollte sich. Tina kannte Leute, die Eddie nicht kennen wollte. Tina war plötzlich schlecht gelaunt. Eddie spürte, daß sie gehen wollte, und stand auf, um