Wind & Der zweite Versuch
hing, und hielt ein aufgeklapptes Rasiermesser in der Hand. Das Bündel hing an seinen Füßen von der Decke, hatte einen roten Kopf, versuchte krampfhaft seinen Pullover am Herunterrutschen zu hindern und schwankte dabei leicht hin und her. Es sagte:
»Jojo, du verfickte Drecksau, wenn ich dich erwische, mach ich dich kalt.«
»Ja, ficken«, sagte Bleichdepp.
»Also bitte«, sagte Brauner II, »keine Zärtlichkeiten so früh am Morgen. Wie ich schon sagte, ihr solltet uns jetzt erklären, wo ihr unser Eigentum versteckt habt, weil das ansonsten hier blutig wird. Ich fände das nicht gut. Ich bin grundsätzlich gegen Gewalt. Aber wir müssen hier zu einem Ende kommen. Das ist sehr wichtig. Wenn ihr uns gesagt habt, wo unser Eigentum ist, und wenn wir das überprüft haben, könnt ihr gehen.«
Irgendwie redete das Aktentaschenarschloch auch wie Brauner. Warum konnten diese Plagegeister nicht einfach alle ihr verstecktes Pillenröhrchen aufmachen und nach Hause gehen? Eddie hatte einen Plan. Er wollte etwas sagen, aber es fiel ihm recht schwer. Er war in Panik, die Zunge wollte ihm nicht so recht gehorchen, und deswegen klang er jetzt beim Sprechen fast wie Issndas von gestern abend.
»Mussich malen.«
Tina sagte: »Eddie!«, und der Freund von Jojo brachte ihr mit seinem Rasiermesser einen Schnitt am Oberschenkel bei, durch die Hose hindurch, einfach mal so, prophylaktisch.
»Malichauf.«
Er mußte sich gar nicht so sehr anstrengen, gleichzeitig doof und verängstigt zu wirken, Gelispel und Backengezitter kamen auch ganz von selbst, und Eddie war zum ersten Mal überhaupt dankbar dafür.
»Also …«, sagte Brauner II, und Bleichdepp riß Eddie möglichst grob vom Boden hoch, wobei Eddie merkte, daß Bleichdepp nur wenig Kraft entwickelte. Kein Sportler. Bleichdepp schloß die Handschellen auf. Als Eddie wie ein Haken, ein wenig übertrieben gekrümmt an dem Tisch stand, hinter dem Brauner II auf einem abgeschabten Stuhl mit aufgeplatztem Polster saß (Zigarette rauchend), bemerkte er, daß sein Hab und Gut auf dem Tisch ausgestreut lag, die beiden abgesägten Schrotflinten inklusive. Das war genau der Moment, in dem er mit kristallener Klarheit realisierte, daß er Brauner II erzählen konnte, wo der Schatz im Silbersee war, und daß trotzdem er und Tina nirgendwo hingehen sollten, als unter die Erde. Es wurde alles sehr schnell. Bleichdepp war noch mit der Versorgung der Handschellen beschäftigt, Brauner II griff in seine Anzugtasche, um einen Stift hervorzuholen, der Kumpel von Jojo wischte sein Rasiermesser an der Kante des Tischs ab, und der erste, wenig fokussierte Tritt traf Jojo völlig unerwartet, Eddie hatte Glück, sein Fuß krachte eher per Zufall genau in den Solarplexus. Während Jojo die Luft abließ, fischte Eddie auf dem Tisch nach seinen gestutzten Gewehren, er faßte auch eins, und Brauner II bekam die Hand nicht schnell genug aus der Tasche, um ihn daran zu hindern, das zweite mit einer unkontrollierten Bewegung vom Tisch zu wischen. Da hinten ging eine Sirene an? Eddie hielt in Rasiermessers Richtung und zog ab, ein trockenes Knacken und sonst nichts. Nicht geladen, wie gehabt. Die Sirene heulte weiter. Eddie kämpfte wie besoffen. In seinem Rücken rollte sich Jojo in Stellung zum Aufstehen. Brauner II tauchte nach der zweiten Flinte. Eddie zog noch einmal durch und traf Rasiermesser in die Brust, der gerade das Grinsen hatte kriegen wollen. Eddie kickte Brauner II, der sich mit der zweiten Flinte in der Hand aufrappelte, in den Bauch, er purzelte zur Seite und gab die Waffe frei. Eddie konnte Jojo noch gerade rechtzeitig in die rechte Schulter treffen, so daß er Schwierigkeiten mit seinem Schußarm bekam. Immer noch die Sirene. Bleichdepp taumelte und wollte sich nach seiner hingefallenen Pistole bücken, dabei traf ihn Eddie mit dem Fuß am Kopf, aus einem Taumler heraus. Eddie hoffte auf den raschen Blutverlust durch die große Schrotwunde, und suchte irgendwo in dem Kreischballett, das er in den letzten fünf Sekunden getanzt hatte, nach Brauner II, dem Patron der Compagnie. Brauner II krauchte an der Wand lang, hustend, Eddie trat ihn in den Rücken, und drückte ihm die Mündung in den Nacken. Keine Ahnung, ob noch eine zweite Kartusche im Lauf war. Keine Ahnung, ob Brauner II mehr darüber wußte. Jojo lag auf dem Boden und verlor Blut. Tina schrie immer noch. Brauner II lag still da und sagte gar nichts; als er schluckte, ging das wie eine kleine Welle erst durch die Waffe und
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