Winslow, Don
eröffnet.
Gegenwärtig stoßen zehntausend mexikanische Soldaten in dieses Tal nahe der
Stadt Badiraguato vor - zur Unterstützung der mexikanischen Bundespolizei und
der DEA-Berater, zu denen auch Keller gehört. Die meisten kommen zu Fuß, andere
sind beritten, treiben Rinder vor sich her, als wären sie vaqueros, mexikanische Cowboys. Ihr Befehl lautet ganz
simpel: Vergiftet die Mohnfelder und verbrennt alles, was übrig ist, fahrt
unter die Gomeros wie der Hurrikan unters trockene Laub, zerstört die Heroin-Rohstoffbasis
hier in den Bergen von Westmexiko.
Die Sierra Occidental bietet die ideale Kombination aus Höhenlage,
Regenmenge und Bodensäuregehalt für das Gedeihen von papaver
somniferum, der Mohnsorte, aus der »Mexican Mud«
gewonnen wird, ein starkes, billiges, braunes Heroin, das den amerikanischen
Markt überschwemmt.
Wieso eigentlich Operation Condor?, denkt Keller.
Seit sechzig Jahren hat man am mexikanischen Himmel keinen Kondor
gesehen, und aus den Staaten ist er schon viel früher verschwunden. Aber jede
Operation braucht einen Namen, sonst glauben wir nicht an sie - also Condor.
Warum nicht?
Keller hat sich ein bisschen schlaugemacht, was diesen Vogel betrifft. Es
ist (war) der größte aller Raubvögel, obwohl dieser Begriff ein wenig
irreführend ist, denn statt zu jagen, betätigt sich der Kondor lieber als
Aasfresser. Ein ausgewachsener Kondor, hat Keller gelesen, könnte ohne
weiteres einen kleinen Hirsch reißen, aber er wartet lieber, bis ein Tier auf
andere Weise zu Tode kommt und er nur von oben einzuschweben braucht, um es
sich zu schnappen.
Genau wie wir, denkt Keller.
Operation Condor.
Und wieder ein Vietnam-Flashback.
Der Tod von oben.
Da hocke ich nun im Gestrüpp, zitternd vor Kälte an diesem feuchten
Gebirgsmorgen, und liege auf der Lauer. Wie damals.
Nur dass ich diesmal keinen Vietcong-Kader im Visier habe, sondern den
alten Don Pedro Aviles, den Drogenboss von Sinaloa, el patrón persönlich. Seit einem halben Jahrhundert schon versorgt Don Pedro den
Markt mit dem hier erzeugten Opium, lange bevor Bugsy Siegel kam, mit Virginia
Hill im Schlepptau, um der kalifornischen Mafia eine stetig sprudelnde
Heroinquelle zu sichern.
Siegel schloss einen Deal mit dem jungen Don Pedro Aviles, der seine neue
Machtposition dazu nutzte, sich zum patrón zu erheben, zum Boss, und diesen Posten bekleidet er bis heute. Doch
neuerdings gerät seine Macht ins Wanken - seit ihm ein paar junge Kerle den
Respekt verweigern. Ein Naturgesetz, denkt Keller, die jungen Löwen bringen die
alten irgendwann zu Fall. Ganze Nächte hat er in seinem Hotelzimmer in Culiacán wachgelegen -
die Schießereien in den Straßen sind inzwischen so alltäglich, dass sich die
Stadt den Spottnamen Little Chicago redlich verdient hat.
Nun, vielleicht ist ab heute Ruhe.
Wenn du Don Pedro verhaftest, machst du diesen Fehden ein Ende. Und kannst
dich als Held feiern lassen, denkt er ein wenig schuldbewusst.
Keller ist ein überzeugter Befürworter des Drogenkriegs. Aufgewachsen im
Barrio Logan von San Diego, hat er mit eigenen Augen gesehen, was das Heroin in solch
einem Viertel anrichten kann, besonders wenn es ein armes Viertel ist. Hier
geht es darum, die Drogen von der Straße wegzukriegen, ermahnt er sich, nicht
um deine Karriere.
Andererseits braucht er sich, wenn er den alten Aviles zur Strecke
bringt, um seine Karriere nicht zu sorgen. Und die könnte, wenn er ganz ehrlich
ist, einen kleinen Schub gebrauchen.
Die DEA ist eine junge Behörde, kaum zwei Jahre alt. Als Präsident Nixon den
Drogenkrieg ausrief, brauchte er Soldaten. Die meisten wurden aus der
Vorgängerbehörde übernommen, etliche wurden in den Polizeieinrichtungen des
Landes rekrutiert, aber in der Startmannschaft waren nicht wenige vertreten,
die direkt von der Firma kamen.
Keller war einer von ihnen. Ein Company Cowboy.
So nennen die Cops diejenigen, die von der CIA kommen - um ihnen dann mit
Ablehnung und Misstrauen zu begegnen.
Eigentlich zu Unrecht, denkt Keller. Im Grunde machen sie bei der DEA dasselbe -
Informationen sammeln. Du suchst dir deine Zuträger, baust sie auf, steuerst
sie und verwertest die Informationen, die sie dir liefern. Der große
Unterschied zum alten Job: Früher haben sie die Zielpersonen noch verhaftet,
jetzt bringt man sie einfach um.
Nach dem Vorbild von Operation Phoenix, der programmierten Vernichtung
des Vietcong.
Mit den Killerkommandos hatte Keller in Vietnam nicht allzu viel zu tun.
Er musste
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