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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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findest. Von einem zum anderen Male
    wunderst du dich über die Größe der Frucht,
    Ã¼ber ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,
    und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht
    unten des Wurms. Giebt es denn Bäume, von Engeln beflogen,
    und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,
    daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?
    Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,
    durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen
    jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?
    Werke I , 762
    Ein Märchen vom Tod und eine fremde Nachschrift dazu
    Ich schaute noch immer hinauf in den langsam verlöschenden Abendhimmel, als jemand sagte: »Sie scheinen sich ja für das Land da oben sehr zu interessieren?«
    Mein Blick fiel schnell, wie heruntergeschossen, und ich erkannte: Ich war an die niedere Mauer unseres kleinen Kirchhofs geraten, und vor mir, jenseits derselben, stand der Mann mit dem Spaten und lächelte ernst. » Ich interessiere mich wieder für dieses Land hier«, ergänzte er und wies nach der schwarzen, feuchten Erde, welche an manchen Stellen hervorsah aus den vielen welken Blättern, die sich rauschend rührten, während ich nicht wußte, daß ein Wind begonnen hatte. Plötzlich sagte ich, von heftigem Abscheu erfaßt: »Warum tun Sie das da?« Der Totengräber lächelte immer noch: »Es ernährt einen auch – und dann, ich bitte Sie, tun nicht die meisten Menschen das gleiche? Sie begraben Gott dort , wie ich die Menschen hier.« Er zeigte nach dem Himmel und erklärte mir: »Ja, das ist auch ein großes Grab, im Sommer stehen wilde Vergißmeinnicht
drauf –« Ich unterbrach ihn: »Es gab eine Zeit, wo die Menschen Gott im Himmel begruben, das ist wahr –« »Ist das anders geworden?« fragte er seltsam traurig. Ich fuhr fort: »Einmal warf jeder eine Hand Himmel über ihn, ich weiß. Aber da war er eigentlich schon nicht mehr dort, oder doch –« ich zögerte.
    Â»Wissen Sie«, begann ich dann von neuem, »in alten Zeiten beteten die Menschen so.« Ich breitete die Arme aus und fühlte unwillkürlich meine Brust groß werden dabei. »Damals warf sich Gott in alle diese Abgründe voll Demut und Dunkelheit, und nur ungern kehrte er in seine Himmel zurück, die er, unvermerkt, immer näher über die Erde zog. Aber ein neuer Glaube begann. Da dieser den Menschen nicht verständlich machen konnte, worin sein neuer Gott sich von jenem alten unterscheide (sobald er ihn nämlich zu preisen begann, erkannten die Menschen sofort den einen alten Gott auch hier), so veränderte der Verkünder des neuen Gebotes die Art zu beten. Er lehrte das Händefalten und entschied: Seht, unser Gott will so gebeten sein, also ist er ein anderer als der, den ihr bisher in euren Armen glaubtet zu empfangen. Die Menschen sahen das ein, und die Gebärde der offenen Arme wurde eine verächtliche und schreckliche, und später heftete man sie ans Kreuz, um sie allen als ein Symbol der Not und des Todes zu zeigen.
    Als Gott aber das nächste Mal wieder auf die Erde niederblickte, erschrak er. Neben den vielen gefalteten Händen hatte man viele gotische Kirchen gebaut, und so streckten sich ihm die Hände und die Dächer, gleich steil und scharf, wie feindliche Waffen entgegen. Bei Gott ist eine andere Tapferkeit. Er kehrte in seine Himmel zurück, und als er merkte, daß die Türme und die neuen Gebete hinter ihm her wuchsen, da ging er auf der anderen Seite aus sei
nen Himmeln hinaus und entzog sich so der Verfolgung. Er war selbst überrascht, jenseits von seiner strahlenden Heimat ein beginnendes Dunkel zu finden, das ihn schweigend empfing, und er ging mit einem seltsamen Gefühl immer weiter in dieser Dämmerung, welche ihn an die Herzen der Menschen erinnerte. Da fiel es ihm zuerst ein, daß die Köpfe der Menschen licht, ihre Herzen aber voll eines ähnlichen Dunkels sind, und eine Sehnsucht überkam ihn, in den Herzen der Menschen zu wohnen und nicht mehr durch das klare, kalte Wachsein ihrer Gedanken zu gehen. Nun, Gott hat seinen Weg fortgesetzt. Immer dichter wird um ihn die Dunkelheit, und die Nacht, durch die er sich drängt, hat etwas von der duftenden Wärme fruchtbarer Schollen. Und nicht lange mehr, so strecken sich ihm die Wurzeln entgegen mit der alten

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